Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG)

Nach den Eckpunkten aus dem neuen Referentenentwurf zum Versorgungsstärkungsgesetz sollen Gesundheitskioske, Primärversorgungszentren, kommunale MVZ und mehr Mitspracherechte für die Länder in den Zulassungsausschüssen „die Gesundheitsversorgung vor Ort in den Kommunen stärken und dabei gleichzeitig die individuelle Gesundheitskompetenz erhöhen“. Für die einen ist das eine notwenige Reform der ambulanten Versorgung, für die anderen ein Angriff auf die Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzte und der Einstieg in eine Staatsmedizin.

Fakt ist, dass die ambulante Gesundheitsversorgung in der bisherigen Form nicht mehr den Ansprüchen gerecht wird. Da man sich im politischen Raum nicht vorstellen kann Ansprüche auf ihre Berechtigung zu prüfen, sieht man in einem Systemwechsel die Chance die ambulante – und übrigens auch die stationäre – Versorgung vor dem Kollaps zu bewahren.

Unsere Gesundheitswirtschaft (den Begriff „Gesundheitswesen“ vermeide ich, da es zu sehr an Verwesen erinnert) steht vor einem zunehmenden Bedingungserfüllungsproblem (Constraint-Satisfaction-Problem). Die Politik sieht sich konfrontiert mit der Aufgabenstellung aus einer Menge von unkalkulierbaren Variablen einen Zustand zu gestalten, der alle politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Bedürfnissen einer künftigen medizinischen Versorgung berücksichtigt. Die Nachhaltigkeitslücke beträgt im Gesundheitswesen fast ein Bruttoinlandsprodukt. Die Gesundheitspolitik verspricht circa eine Jahreswirtschaftsleistung mehr an Leistungen als durch Beiträge in der Zukunft finanziert werden können (Prof. Bernd Raffelhüschen). Eine breite Front aus Krankenkassen, Sozial- und Patientenverbänden, aber auch der Politik, lehnen Vorschläge zu Leistungseinschränkungen oder Selbstbeteiligungen aus Sorge vor unerwünschten sozialen und gesundheitlichen Effekten kategorisch ab.

Es gibt für jedes Problem eine Lösung und die heißt Verzicht. Diese Bereitschaft ist nicht absehbar. Niemand möchte auf die Fortschritte der Medizin verzichten (z.B. Proteomics, Genomics u.v.a.m.) obwohl die damit verbunden Kosten enorm sein werden. Patienten sind nicht bereit auf die unbeschränkte Kostenerstattung aller notwendigen präventiven und therapeutischen Maßnahmen zu verzichten. Ärzte sind nicht bereit auf Gestaltungsspielräume und eine als gerecht empfundene Vergütung zu verzichten. Krankenkassen wollen auf die historisch entstandene Vielfalt, einen Finanzausgleich und fragwürdige Leistungsangebote nicht verzichten. Und der Bund wird nicht auf die Entlastung des Haushalts durch Übernahme versicherungsfremder Leistung durch die Krankenkassen verzichten. Die Länder wollen in Verfahren der Zulassungsausschüsse mit besonderer Versorgungsrelevanz nicht auf ein Mitentscheidungsrecht verzichten. Man könnte diese Liste fortsetzen. Unter diesen Prämissen dauerhaft eine sinnvolle Verknüpfung zwischen den sich ständig verändernden Rahmenbedingungen herzustellen und gleichzeitig die Verteilungssteuerung im Griff zu gehalten, ist im Prinzip eine Mission impossible.

Bei der Unvereinbarkeit der Positionen ist eine wünschenswerte Sicherstellung der ambulanten Versorgung in unterversorgten Gebieten des ländlichen Raums und in sozialen Brennpunkten durch neue Institutionen wie Primärversorgungszentren, Kommunale MVZ und Gesundheitskioske -vorsichtig ausgedrückt – ambitioniert. Das Problem ist, dass Niedergelassene in den unterversorgten Bereichen nicht mehr tätig werden möchten oder können. Um die Attraktivität zu erhöhen ist im Gesetzentwurf ist u.a. eine Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) zur Vergütung nichtärztlicher Leistungen in den Primärversorgungszentren vorgesehen. Dadurch werden der GKV abhängig von der Zahl der Primärversorgungszentren weitere Mehrausgaben entstehen. In hausärztlichen Praxen ist das nicht vorgesehen.

Auch eine „Weiterentwicklung“ des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) durch stärkere Mitsprachemöglichkeiten der Pflege und Patienten, Hebammen und wissenschaftlichen Fachgesellschaften soll erfolgen. Erfahrungsgemäß wird dies nicht dazu beitragen Entscheidungen zu beschleunigen. Angesichts der Langsamkeit und Regulierungswut, die in den vergangenen Jahren vorherrschten, sind Zweifel mehr als angebracht.

Viele niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sind derzeit strapaziert durch permanentes lästiges, störendes Agieren verschiedener Interessengruppen und zermürbt, weil nichts mehr so läuft, wie man es gerne hätte und man behindert wird in allem was man gerne machen, bzw. vermeiden möchte.

Auf das Beste hoffen, auf das Schlimmste vorbereitet sein. Es braucht einen Plan, um auf Veränderungen reagieren zu können, um nicht zu riskieren zu verlieren, was man gern bewahren möchte.

Folgende Hinweise aus dem Rheinischen Grundgesetz können dabei helfen:

Sieh den Tatsachen ins Auge, du kannst eh nichts ändern. Jammer nicht und trauer nicht um längst vergessene Dinge. Was fort ist, ist fort. Du selbst kannst ohnehin nichts am Lauf der Dinge ändern. Wir wissen, es ist Murks, aber es wird weitergehen. Bleib offen für Neuerungen. Sei aufmerksam, erkenne wenn Neuerungen überhandnehmen. Stell immer die Universalfrage: Wird das was gestern gut gegangen ist, auch morgen funktionieren? Was muss ich tun, um Schaden von meiner Praxis und dem Team abzuwenden?

Unterdrücken Sie den Ärger-Reflex. Wenn die Rahmenbedingungen für alle gleich sind, werden die Flexiblen immer erfolgreicher sein. Wie man in einem zu großen Teilen dysfunktionalen Gesundheitssystem gut überlebt, habe ich bei meinen Besuchen in Großbritannien, Italien, Russland und selbst in den USA gelernt.

Also kein Grund zu verzweifeln.

Futurize Digital Healthcare

Mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 7. November ist das „Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz)“, mit dem die Bundesregierung das für kommendes Jahr zu erwartende 17-Milliarden-Euro-Defizit der gesetzlichen Krankenkassen auffangen will, in Kraft getreten. 
Das Gesundheitswesen soll transformiert werden. „Vor uns liegen große Reformen. Wir brauchen wir eine große Finanzierungsreform für die GKV. Denn das, was mit dem jetzigen GKV-FinStG beschlossen worden sei, wird langfristig nicht reichen.“ Sollten sich die erhofften Einspareffekte durch die Neuregelungen nicht erreichen lassen, ist von einer noch restriktiveren Handhabung und weiteren Honorareinschränkungen auszugehen. Weiteres Ungemach droht den Praxen/MVZ bei der Einführung einer sektorgleichen Vergütung. 

In Zeiten von Corona, Krieg, Migration, Energieknappheit und Inflation seinen teure und mitunter redundante Leistungsangebote nicht mehr realisierbar, so Politik und Krankenversicherungen unisono. Die Transformation hin zu einer staatlich regulierten Medizin ist der gemeinsame Nenner aller Bemühungen unserer derzeitigen Regierung. Erklärtes Ziel ist es die Beitragszahler vor steigenden Kosten zu bewahren, ohne dass sich in der „Versorgungsqualität“ etwas ändert. Dieses politische Mantra – einhergehend mit einer Stärkung der Krankenhäuser – sollte die Akteure im ambulanten Sektor hellhörig machen. Zweifel an zukunftsfesten Versorgungsstrukturen bei ambulanten medizinischen Leistungen sind berechtigt.

Protestieren, resignieren, lamentieren oder räsonieren? 

Erfolgreicher Protest scheitert an der Uneinigkeit der Ärzte, Stationär kämpft gegen ambulant, Berufsverbände gegeneinander, Interessensverbände mit sich selbst. Sogar innerhalb einer Arztgruppe streiten sich unterschiedliche Fachverbände. Ein Schulterschluss zur sinnvollen Weiterentwicklung oder zumindest Erhaltung einer solidarisch finanzierbaren ambulanten Gesundheitsversorgung erscheint illusorisch. Ohne fachgruppenübergreifende Zusammenarbeit, Kooperation und Konsens ist eine politische Einflussnahme nahezu unmöglich.  

Die Lösung: Optimieren!

Es wird für alle anders. Und über die Kriterien des Besseren oder des Schlechteren werden Kontroversen entstehen. Heinrich Oberreuter

Wagen wir einen Blick in die USA, deren Gesundheitswesen ebenfalls Anzeichen der Agonie aufweist. Dies lockt private Investoren auf den Plan. Der CEO von Amazon, Andy Jassy, hat das Gesundheitswesen als eine der wichtigsten neuen Prioritäten bezeichnet. „Wir denken, der Gesundheitsbereich steht auf der Liste der Erfahrungen, die neu erfunden werden müssen, ganz oben,“ so Neil Lindsay, Senior Vice President von Amazon. Digitalisierung von Prozessen und der Einsatz von KI sollen die Versorgung besser und billiger gestalten. Vieles spricht dafür, dass dieser Weg unvermeidlich ist. 

Der Einnahmen-Überschuss, den Arztpraxen erwirtschaften, schmilzt von Jahr zu Jahr Größter Kostenfaktor für die Praxen sind die Ausgaben für Personal, die im Jahr 2020 fast 56 Prozent der Gesamtaufwendungen umfasst hätten. Von 2017 bis 2020 nahmen die Personalaufwendungen nach dem Zi-Praxis-Panel um 19 Prozent zu. Dazu kommen ca. zehn Prozent Miete, zehn Prozent entfallen auf Versicherungen, Wartungen und Materialkosten. 20 Prozent der Arbeitszeit schlucken Dokumentationen und Bürokratie, Qualitätssicherung, Datenschutz und Arbeitssicherheit.

Wenn es doch so spielerisch leicht ist mit einer App eine Vertragsarztpraxis aufzubauen, warum sollen von der Schließung bedrohte Arztpraxen nach dem Willen von Hamburgs rot-grüner Koalition übergangsweise von der Kassenärztlichen Vereinigung (KVH) übernommen und betrieben werden?

Futurize Digital Healthcare

Herausforderungen sind Geschenke. Bekämpfe sie nicht. Finde einfach einen neuen Weg, dich selbst zu positionieren,“ Oprah Winfrey, Talkshow-Moderatorin und Medienmagnatin

Die meisten kleineren Praxen/MVZ haben weder das Know-how noch die Mittel zum Aufbau eines patientenzentrierten und nutzerfreundlichen, digitalen Anlaufpunkts zur Gesundheitsfürsorge, Es mangelnd an theoretischen Voraussetzungen, Kenntnissen und Erfahrungen zur Nutzung digitaler Prozessoptimierung und interner sowie externer Kommunikation. Niemand kann es der Ärztinnen und Ärzten verdenken, dass sie neben der alltäglichen Arbeitslast nicht zu Digitalexperten werden. Sie glauben immer noch, dass Erfolg darauf beruht, wie sie ihr medizinisches Fachwissen anwenden und Behandlungen durchführen, anstatt über die Art und Weise nachzudenken, wie sie effektiv ihre Zeit nutzen.

Die Rahmenbedingungen bedingen nun Veränderungen von Denkweisen und Einstellungen, um einen erfolgreichen Veränderungsprozess ins Rollen zu bringen. Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel anders setzen.

Was ist ein gerechter Lohn? Act Your Wage?

Unter Gerechtigkeit verstand Meister Eckhart (Theologe und Philosoph des Spätmittelalters) nicht eine bestimmte Art der Verteilung irdischer Güter, sondern die Haltung desjenigen, der nicht aus eigenem Antrieb, sondern aus göttlichem Impuls handelt und daher stets das Richtige – der jeweiligen Situation Angemessene – tut.  Für Thomas von Aquin (1225-1274)war es völlig okay, dass Menschen umso besser bezahlt wurden, je höher sie in der gesellschaftlichen Hierarchie standen. Der katholische Sozialtheoretiker Oswald von Nell-Breuning (1890-1991) löste die Frage der Gerechtigkeit vollkommen von der Entstehung des Lohns: „Welche Verteilung als gerecht angesehen werden kann, ist in einer dynamisch-expansiven Wirtschaft weniger kausal als teleologisch determiniert: Welche Aufgaben sollen – und wollen! – bestimmte Kreise erfüllen; wie müssen sie vermögens- und einkommensmäßig gestellt sein, um diese Aufgaben . . . erfüllen zu können“ (Süddeutsche Zeitung 2015).

Die Diskussion um Lohn, Gehalt und Verdienst wird oft primär auf das monetäre Einkommen eines Arbeitnehmers fokussiert.  Per Definition ist der Lohn jedoch nicht nur die Bezahlung für geleistete Arbeit, sondern etwas, womit man für eine Leistung entschädigt wird; gewissermaßen eine Belohnung. Viele Unternehmen versuchen durch geldwerte Nebenleistungen oder auch Fringe Benefits in Form unentgeltlicher oder vergünstigter Sachleistungen zusätzlich zum Gehalt beziehungsweise Lohn zu „belohnen“.

Ein Teil des Lohns für eine Tätigkeit bestand lange Zeit auch in den immateriellen Gütern, d.h. mit einer hohen sozialen Anerkennung für „dienende“ Berfufsgruppen, z.B. für Müllwerker, Pflegeberufe, Leher:innen, aber auch Ärzt:innen verbunden waren: Akzeptanz, Wertschätzung, Geltung und Status. Unzweifelhaft treibt das Bedürfnis, innerhalb der Gesellschaft anerkannt zu werden, unser Verhalten an vielen Stellen. In den Debatten über soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Konflikte spielt die Kategorie der Anerkennung zumeist eine untergeordnete Rolle. Einerseits ist jeder Mensch, wie Parsons sagt, primär an der Wahrung einer Form von „Selbstachtung“ interessiert, die auf die Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner angewiesen ist, andererseits wird eine „Ehrung“ ohne materielle Begleitleistung zunehmen als unzureichend empfunden. Wenn Lob als Teil der Belohnung auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr akzeptiert wird, dann begünstigt dies aktuelle Trends wie“ „act your wage“ (Handle nur so viel, wie dein Gehalt es vorgibt) oder auch „Quiet Quitting“, eine Arbeitseinstellung von Menschen, die Ihren Lohn als unangemessen betrachten und beschließen, dass es für sie Wichtigeres im Leben gibt als den aus ihrer Sicht aussichtslosen Kampf gegen eine als ungerecht empfundene monetäre Entlohnung für beruflichen Erfolg. Sie suchen ihre „Selbstachtung“ im Verzicht.

Und was hat das mit Ärzt:innen zu tun?

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt tobt derzeit eine Auseinandersetzung um die Zukunft der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung. Es mehren sich die Stimmen das Gesundheitswesen gehöre in die öffentliche Hand. Das Ziel einer ärztlichen Versorgung dürfe nicht die Gewinnerzielung sein. Aus ärztlicher Sicht hingegen ist die Orientierung am Patientenwohl und eine betriebswirtschaftliche Praxisführung – und damit ein gerechter Lohn -nicht notwendigerweise ein Zielkonflikt.

In der Krankenversicherung wird 2023 ein Rekorddefizit von 17 Milliarden Euro erwartet Nun glaubt die Bundesregierung mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr durch eine „gerechte“ Lastenverteilung sanieren zu können. Man hofft mit Einsparungen bei Ärzten und Ärztinnen, Apotheken und der Pharmaindustrie eine Grundlage zur mittel- und langfristigen Sicherung einer solidarischen und nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung legen zu können. Alle an der Gesundheitswirtschaft Beteiligten sollen auf einen Teil ihrer Erlöse verzichten, um die solidarisch finanzierte Umverteilung zu Gunsten von Personen mit geringem Einkommen aufrecht erhalten zu können. Die Krankenversicherungskosten für Menschen ohne Arbeit sind maßgeblich die Ursache für die finanzielle Schieflage der Krankenkassen. Die Priorisierung der Verteilung von Transferleistungen, die von einer Gesellschaft erwirtschaftet werden müssen, ist Aufgabe des Gesetzgebers.

„Das Finanzierungsproblem der GKV wäre beendet, wenn die Länder für die Investitionen bezahlen würden, wenn der Bundesarbeitsminister für die ALG-II-Empfänger zahlen würde und wenn der Mehrwertsteuersatz für Arzneimittel reduziert würde“, Ch. Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse.

Um dem Anstieg der Kosten zu begegnen, forderte der Kassenverband den Gesetzgeber u.a. dazu auf, den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten einen Inflationsausgleich für die Jahre 2023 und 2024 komplett zu versagen. Und das vor dem Hintergrund von Wartelisten in Rekordhöhe, steigenden Energiekosten, Personalproblemen und zunehmender Nachfrage nach psychosozialer Unterstützung.

In Hinblick auf den bereits in den vergangenen Jahre erzwungenen Verzicht empfinden Ärzt:innen eine weitere Minderung ihres Honorars als ungerecht. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte stehen ungewollt in einem zunehmenden Kampf zwischen verständlichem Eigennutzen und gemeinnütziger Kooperation. Wie dieser Konflikt ausgeht, ist aber nicht nur für sie persönlich wichtig, sondern entscheidend für die Weiterentwicklung unserer Gesundheitsversorgung.

Nun steht man an der Schwelle von möglichen Streiks der Beschäftigten im ambulanten Versorgungssektor, wie wir sie bereits aus den Krankenhäusern kennen. Wenn Ärzt:innen streiken, dann streiken sie im Wesentlichen für einen höheren Anteil am Geld der Allgemeinheit – zu Lasten anderer Verwendungen. Auf den ersten Blick hat das mit Gerechtigkeit nichts zu tun, sondern mit Interessenvertretung. Beim Einkommen der Ärzt:innen geht es immer auch um die Leistungsfähigkeit dessen, der die Löhne zahlen soll , der Kranken- und Pflegeversicherung, die dauerhaft nur in Höhe der Versicherungsprämien erbracht werden können oder des Staates aus Steuereinnahmen. Auf den zweiten Blick wird die Versorgung der Bevölkerung kollabieren, falls Ärzt:innen ihrem Hang zu Selbstausbeutung aufgeben und dem Prinzip des „act your wage“ folgen.

Für selbständig tätige Mediziner:innen ist eine „Work-Life-Balance“ kaum zu realisieren. Das aktuelle Berufsmonitoring für Medizinstudierende zeigte in der Konsequenz ein immenses Interesse der Medizinstudierenden an einer Angestelltentätigkeit (96%). Deutlich gewachsen ist seit 2010 vor allem das Interesse an einer Anstellung im ambulanten Sektor. Es stieg von 67,3 auf 77,4 Prozent. Interessierten sich 2010 noch weniger als die Hälfte der Medizinstudierenden für eine Anstellung in einer Arztpraxis (49%), waren es in diesem Jahr mehr als zwei Drittel (68%). Das Interesse an einer Anstellung im MVZ wuchs von 56 auf 66 Prozent.

Die Kosten im Gesundheitswesen werden weiterhin steigen. Neben dem wissenschaftlichen Fortschritt, der Demographie, aktueller Krisen (COVID-19, Migration) u.v.a.m. sind es vor allem die im OECD-Vergleich hohen stationären Fallzahlen und die viel zu hohe Anzahl von Arztbesuchen, welche die steigenden Kosten verursachen. Kein GKV-Stabilisierungsgesetz konnte bislang dagegen ankommen. Solange es systembedingt keine sozial verträgliche Einschränkung der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen gibt, wird die Diskussion um eine gerechte Lastenverteilung an Härte zunehmen.

Die Diskussion um Lohn, Gehalt und Verdienst wird oft primär auf das monetäre Einkommen eines Arbeitnehmers fokussiert. Per Definition ist der Lohn jedoch nicht nur die Bezahlung für geleistete Arbeit, sondern etwas, womit man für eine Leistung entschädigt wird; gewissermaßen eine Belohnung. Viele Unternehmen versuchen durch geldwerte Nebenleistungen oder auch Fringe Benefits in Form unentgeltlicher oder vergünstigter Sachleistungen zusätzlich zum Gehalt beziehungsweise Lohn zu „belohnen“.

Ein Teil des Lohns für eine Tätigkeit bestand lange Zeit auch in den immateriellen Gütern, d.h. mit einer hohen sozialen Anerkennung für „dienende“ Berfufsgruppen, z.B. für Müllwerker, Pflegeberufe, Leher:innen, aber auch Ärzt:innen verbunden waren: Akzeptanz, Wertschätzung, Geltung und Status. Unzweifelhaft treibt das Bedürfnis, innerhalb der Gesellschaft anerkannt zu werden, unser Verhalten an vielen Stellen. In den Debatten über soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Konflikte spielt die Kategorie der Anerkennung zumeist eine untergeordnete Rolle. Einerseits ist jeder Mensch, wie Parsons sagt, primär an der Wahrung einer Form von „Selbstachtung“ interessiert, die auf die Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner angewiesen ist, andererseits wird eine „Ehrung“ ohne materielle Begleitleistung zunehmen als unzureichend empfunden. Wenn Wertschätzung als Teil der Belohnung auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr akzeptiert wird, dann begünstigt dies aktuelle Trends wie “ act your wage“ (Handle nur so viel, wie dein Gehalt es vorgibt) oder auch „Quiet Quitting“, eine Arbeitseinstellung von Menschen, die Ihren Lohn als unangemessen betrachten und beschließen, dass es für sie Wichtigeres im Leben gibt als den aus ihrer Sicht aussichtslosen Kampf gegen eine als ungerecht empfundene monetäre Entlohnung für beruflichen Erfolg. Sie suchen ihre „Selbstachtung“ im Verzicht.

Und was hat das mit Ärztinnen und Ärzten zu tun?

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt tobt derzeit eine Auseinandersetzung um die Zukunft der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung. Es mehren sich die Stimmen das Gesundheitswesen gehöre in die öffentliche Hand. Das Ziel einer ärztlichen Versorgung dürfe nicht die Gewinnerzielung sein. Aus ärztlicher Sicht hingegen ist die Orientierung am Patientenwohl und eine betriebswirtschaftliche Praxisführung – und damit ein gerechter Lohn -nicht notwendigerweise ein Zielkonflikt.

In der Krankenversicherung wird 2023 ein Rekorddefizit von 17 Milliarden Euro erwartet Nun glaubt die Bundesregierung mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr durch eine „gerechte“ Lastenverteilung sanieren zu können. Man hofft mit Einsparungen bei Ärzten und Ärztinnen, Apotheken und der Pharmaindustrie eine Grundlage zur mittel- und langfristigen Sicherung einer solidarischen und nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung legen zu können. Alle an der Gesundheitswirtschaft Beteiligten sollen auf einen Teil ihrer Erlöse verzichten, um die solidarisch finanzierte Umverteilung zu Gunsten von Personen mit geringem Einkommen aufrecht erhalten zu können. Die Krankenversicherungskosten für Menschen ohne Arbeit sind maßgeblich die Ursache für die finanzielle Schieflage der Krankenkassen. 

In Hinblick auf den bereits in den vergangenen Jahre erzwungenen Verzicht empfinden Ärzt:innen eine weitere Minderung ihres Honorars als ungerecht. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte stehen ungewollt in einer zunehmenden Auseinandersetzung zwischen verständlichem Eigennutzen und gemeinnütziger Kooperation. Wie dieser Konflikt ausgeht, ist aber nicht nur für sie persönlich wichtig, sondern entscheidend für die Weiterentwicklung unserer Gesundheitsversorgung.

Nun steht man an der Schwelle von möglichen Streiks der Beschäftigten im ambulanten Versorgungssektor, wie wir sie bereits aus den Krankenhäusern kennen. Wenn Ärzt:innen streiken, dann streiken sie im Wesentlichen für einen höheren Anteil am Geld der Allgemeinheit – zu Lasten anderer Verwendungen. Auf den ersten Blick hat das mit Gerechtigkeit nichts zu tun, sondern mit Interessenvertretung. Beim Einkommen der Ärzt:innen geht es immer auch um die Leistungsfähigkeit dessen, der die Löhne zahlen soll – der Kranken- und Pflegeversicherung -, die dauerhaft nur in Höhe der Versicherungsprämien erbracht werden können oder des Staates aus Steuereinnahmen. Auf den zweiten Blick wird die Versorgung der Bevölkerung kollabieren, falls Ärzt:innen ihrem Hang zu Selbstausbeutung aufgeben und dem Prinzip des „act your wage“ folgen.

Da selbständig tätige Mediziner:innen weitgehend fremdbestimmt sind, ist eine „Work-Life-Balance“ kaum zu realisieren. Das aktuelle Berufsmonitoring für Medizinstudierende zeigte in der Konsequenz ein immenses Interesse der Medizinstudierenden an einer Angestelltentätigkeit (96%). Deutlich gewachsen ist seit 2010 vor allem das Interesse an einer Anstellung im ambulanten Sektor. Es stieg von 67,3 auf 77,4 Prozent. Interessierten sich 2010 noch weniger als die Hälfte der Medizinstudierenden für eine Anstellung in einer Arztpraxis (49%), waren es in diesem Jahr mehr als zwei Drittel (68%). Das Interesse an einer Anstellung im MVZ wuchs von 56 auf 66 Prozent.

Die Kosten im Gesundheitswesen werden weiterhin steigen. Neben dem wissenschaftlichen Fortschritt, der Demographie, aktueller Krisen (COVID-19, Migration) u.v.a.m. sind es vor allem die im OECD-Vergleich hohen stationären Fallzahlen und die viel zu hohe Anzahl von Arztbesuchen, welche die steigenden Kosten verursachen. Kein GKV-Stabilisierungsgesetz konnte bislang dagegen ankommen. Solange es systembedingt keine sozial verträgliche Einschränkung der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen gibt, wird die Diskussion um eine gerechte Lastenverteilung und damit um den gerechten Lohn an Härte zunehmen.

Stand der Impfprävention im Bereich einrichtungsbezogener Tätigkeiten 

Insbesondere hochbetagte Menschen, pflegebedürftige Menschen und Personen mit akuten oder chronischen Grundkrankheiten haben ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere, ggf. auch tödliche COVID-19 Krankheitsverläufe (vulnerable Personengruppen). Um diese Menschen vor einer Infektion zu schützen und dadurch zu einer Entlastung des Gesundheitssystems beizutragen und die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber eine gesetzliche Impfpflicht gegen COVID-19 in bestimmten Einrichtungen beschlossen. Diese reichen von Krankenhäusern über Arzt- und Zahnarztpraxen bis hin zu Rettungsdiensten und Sozialpädiatrischen Zentren. 

„Alle Personen, die in den betroffenen Einrichtungen und Unternehmen tätig sind, müssen bis zum Ablauf des 15. März 2022 der Leitung einen COVID-19-Immunitätsnachweis vorlegen. Ein verlässlicher Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine sehr hohe Impfquote bei dem Personal in diesen Berufen ist besonders wichtig, denn so wird das Risiko gesenkt, dass sich die besonders gefährdeten Personengruppen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren. Bei gegen COVID-19-geimpftem Personal ist eine Übertragung des Virus (auch gegenüber Geimpften) erheblich weniger wahrscheinlich als durch ungeimpftes Personal.“ Ist das so?

Sind für eine vollständige Immunisierung 2 Impfstoffdosen ausreichend?

In der Handreichung des BMG zur Impfprävention (1) in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten wird eindeutig festgelegt: „Die zugrundeliegenden Schutzimpfungen müssen den vom Paul Ehrlich-Institut im Benehmen mit dem Robert-Koch-Institut veröffentlichten … Kriterien entsprechen. Nach den Vorgaben des PEI sind für eine vollständige Immunisierung 2 Impfstoffdosen notwendig. Ausreichend ist ebenfalls eine nachgewiesene Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, mit oder ohne eine weitere Impfdosis (ohne zeitliche Begrenzung). 

Abweichend empfiehlt die STIKO für einen vollständigen Impfschutz einen dreimaligen Viruskontakt und für Tätige in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen sogar nach abgeschlossener Grundimmunisierung und erfolgtem „Booster“ eine 2. Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff. Personal in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen wird die 2. Auffrischimpfung frühestens nach 6 Monaten (in Ausnahmefällen nach 3 Monaten) empfohlen (2).

Impfschutz in Zeiten von Omikron

Der Impf-Schutz vor Infektion und Übertragung kann nach vorliegenden Studien in Bezug auf Omikron BA.1, das wir erst seit vier und BA.2, das wir erst seit drei Monaten beobachten, noch nicht exakt beziffert werden. In Israel waren nach der 4. Dosis 25,0 % der Pflegekräfte in der Kontrollgruppe ohne weitere Impfung mit der Omikron-Variante infiziert, verglichen mit 18,3 % der Teilnehmer in der BNT162b2-Gruppe (BioNTech) und 20,7 % der Teilnehmer in der mRNA-1273-Gruppe (Moderna). Die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen jegliche SARS-CoV-2-Infektion betrug 30 % für BNT162b2 und 11 % für mRNA-1273. 

Der Wert einer Impfpflicht galt uneingeschränkt für Delta, kann unter Omikron aber offenbar weder Infektionen noch die Transmission kurzfristig unterbinden. Nach aktuellen Daten des UK Department of Health & Social Care betrug die Wirksamkeit gegen Omikron in England nach 2 Dosen nur etwa 10 % (9 bis 11 %) bzw. 18 % (5 bis 29 %) für BA.1 und BA.2, nach mehr als 25 Wochen. Deshalb wird in England jetzt ein „Spring Booster“ – eine zusätzliche Frühjahrsimpfung etwa 6 Monate nach der letzten Impfdosis – als Vorsichtsmaßnahme zur Aufrechterhaltung eines hohen Immunitätsniveaus für Personen mit einem erhöhten Risiko, sich mit dem Coronavirus (COVID-19) zu infizieren, empfohlen: 

Die Daten aus Israel zeigen, dass die meisten der nach einer 4. Dosis infizierten Beschäftigten des Gesundheitswesens potenziell auch infektiös waren, da sie eine hohe Viruslast (Schwellenwert für den Nukleokapsidgenzyklus ≤25) aufweisen. Was die Transmission allgemein betrifft gibt es vorläufige Daten wonach die initiale Viruslast hoch ist, sie jedoch nach Symptombeginn bei Geimpften etwas schneller absinkt, was eine verkürzte Isolation rechtfertigen könnte.

Alle vorliegenden Daten sprechen dafür, dass erst nach drei Kontakten mit dem Virus (Gimpft/Geboostert und Geimpft/Genesen) ein relevanter Schutz entwickeln wird, der für erstere ca. 3 Monate, für letztere (abhängig vom Verlauf der Erkrankung) mindestens 6 Monate anhält und danach deutlich nachlässt.  Die aktuellen Zahlen der RKI zeigen, dass in der Altersgruppe 18 – 59 Jahre bei 286 978 symptomatischen Fällen (in den KW 05 – 09 2022) 74.970 ungeimpft, 77 975 grundimmunisiert und 134 051 mit Auffrischungsimpfung („Booster“) betroffen waren. Diese Zahlen in Deutschland sprechen dafür, dass auch ein Impfstoff-Booster keinen zuverlässigen Schutz gegen Omikron-induzierte Atemwegserkrankungen bieten kann, wobei neben anderen Faktoren der Zeitraum zwischen Booster und Infektion entscheidend sein dürfte..

England mit seinen hohen Impfqouten, hatte bereits im Februar mit den Lockerungen begonnen. In der Folge kam es zunächst zu einem Anstieg der Reinfektionen und auch der Mortalitätsraten, der sich derzeit wieder abschwächt. In den USA zeigte sich, dass auch die Omikron-Variante mit erheblichen kritischen Erkrankungen und Todesfällen verbunden ist: 15 % der mit der Omikron-Variante hospitalisierten Patienten (sowohl geimpfte als auch ungeimpfte) mussten invasiv mechanisch beatmet werden und 7 % starben im Krankenhaus. Bei geimpften Patienten, die mit COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, wurde ein höherer Schweregrad der Erkrankung im Vergleich zu Delta bei allen Varianten deutlich seltener beobachtet als bei ungeimpften Patienten

Deutschlang ohne valide Daten über die Auswirkung von Corona-Maßnahmen

Bei der Frage, ob eine einrichtungsbezogene Impfpflicht sinnvoll sein kann, sind wir auf Erfahrungen aus anderen Ländern angewiesen, da es in Deutschland keine zuverlässige Datenerhebung gibt. Insbesondere Großbritannien und Dänemark waren beispielgebend für die COVID-19 Strategie in Deutschland. Das ist auch den Abgeordneten im Bundestag bewusst, so:“… sollen die neue einrichtungsbezogene Impfpflicht und die Erweiterung des Kreises der impfberechtigten Personen auf ihre Wirksamkeit und Reformbedürftigkeit hin überprüft werden. Die bislang vorliegende Patientendatenbasis zur COVID-19-Pandemie ist in Deutschland nach Auffassung der Gesetzesinitiatoren unzureichend. Sie müsse umgehend und umfassend überarbeitet und erweitert werden.“ Geeignete Maßnahmen werden im Gesetz leider nicht erwähnt.

Zusammenfassung:

Der Impfschutz vor symptomatischen Infektionen gegen Omikron nimmt mit dem Abstand zur Auffrischimpfung ab und scheint zur sicheren Verhinderung von Infektionen nicht ausreichend hoch zu sein. Wie schon angeführt liegt die Wirksamkeit gegen eine Infektion mit Omikron nach 2 Dosen unter 20 %. 

Bei der Hospitalisierung und noch deutlicher bei den Intensivpatienten sieht es besser aus. In der geimpften Bevölkerung lag insbesondere die Inzidenz der hospitalisierten Fälle deutlich unter der Inzidenz der ungeimpften Bevölkerung.  So kommt es, dass bei Hospitalisierungen in den Altersgruppen unter 59 Jahren zu einem Teil die SARS- CoV-2-Infektion nicht ursächlich für die Krankhauseinweisung ist, während sie bei Hospitalisierungen ab 60-Jähriger zumindest als mit-ursächlich zu bewerten ist. Die Impfung bewahrt viele infizierte Menschen vor schweren Verläufen, wahrscheinlich wird auch das Risiko für Long-COVID reduziert. 

Alle Studien belegen, dass eine dritte Dosis der mRNA-Impfstoffe Impfstoffe erforderlich ist, um ausreichend neutralisierende Antikörpertiter gegen BA.1 oder BA.2 zu induzieren. Der Schutz gegen BA.2 scheint nicht schneller nachzulassen als der Schutz gegen BA.1. Eine Auffrischungsimpfung brachte in Qatar den Schutz gegen eine symptomatische Infektion durch eine der beiden Subvarianten wieder auf 30-60 %. Die im Vereinigten Königreich erhobenen Überwachungsdaten zeigen einen ähnlichen Trend: Die nachlassende Wirksamkeit des Impfstoffs gegen symptomatische COVID-19 für beide Subvarianten steigt 2-4 Wochen nach der dritten Dosis kurzfristig auf etwa 70 % an. Eine weitere Studie bestätigt, dass mRNA-Impfstoffe einen ähnlichen Schutz gegen die beiden Omikron Stämme bieten – auch wenn der Schutz gegen Infektionen und symptomatische Erkrankungen auch nach der dritten Dosis mit der Zeit abnimmt. Der Schutz beträgt nach 4-6 Monaten nur noch etwa 10 %, was bedeutet, dass die Impfstoffe nur 10 % der Fälle verhindern, die aufgetreten wären, wenn alle Personen ungeimpft geblieben wären.

Es ist ein weiteres Problem der Impfpflicht, dass es für Nuvaxovid, den ursprünglichen Hoffnungsträger für Impfskeptiker, keine Daten zur Wirksamkeit gegen Omikron und auch keine zugelassene Auffrischimpfung gibt. Wäre man im politischen Entscheidungsprozess den Empfehlungen des RKI gefolgt, könnten bislang Ungeimpfte z.B. mit Spikevax  – selbst bei einer vorgezogenen Auffrischungsimpfung –  (nach dreimaliger Impfung)  frühestens nach 5 Monaten einen Immunitätsnachweis erbringen. Hinzukommt, dass man offenbar eine möglichst hohe Rechtssicherheit gewährleisten wollte. Die Empfehlungen des RKI (z.B. Dauer des Schutzstatus bei Genesenen) wurden in Streitfällen vor Gericht nicht als rechtsverbindlich anerkannt. 

Fazit: Omikron zeigt im Vergleich zu Delta insgesamt einen deutlich geringeren impfinduzierten Schutz gegen die Ansteckung mit dem Virus. Auch wenn zum „Immunitätsnachweis“ formal eine zweimalige Impfung ausreicht, kann man gefährdeten Personen nur dringend raten, nach der Grundimmunisierung zumindest einen Booster, ggf. auch eine 4. Dosis zu akzeptieren. Die hybride Immunität, die aus einer erfolgten Infektion und einer zeitnah erfolgten Auffrischungsimpfung  – davor oder danach – resultiert, verleiht den stärksten Schutz gegen beide Omikron Subvarianten. 

Literatur:

1. Die Handreichung zur Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten des BMG vom 22.2.2022 bezieht sich auf den Impfnachweis im Sinne des § 2 Nummer 3 der COVID-19 Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung des PEI.

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/FAQs_zu_20a_IfSG.pdf

2. COVID-19 und Impfen: Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ)

Gesamtstand: 19.3.2022
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html

3. Vaccines protect against infection from Omicron subvariant — but not for long. Nature NEWS. 18 March 2022

https://www.nature.com/articles/d41586-022-00775-3?utm_term=Autofeed&utm_campaign=nature&utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1647994564

Galerie Impfzentrum Hamburg

Personalmangel in medizinischen Leistungszentren

Die Suche nach medizinischem Personal wird für Praxen/MVZ in Deutschland zunehmend zum Problem. Viele medizinische Fachangestellte (MFA) zieht es an Kliniken, welche derzeit mit einer besseren Bezahlung locken. Nach Angaben des Verbandes medizinischer Fachberufe sind bundesweit seit 2012 jährlich mehr als 2000 in den Arztpraxen ausgebildete medizinische Fachangestellte in Krankenhäuser abgewandert. Mit der Corona-Epidemie habe sich das Problem verschärft. Zusätzlich ist die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren ist im vergangenen Jahr um 11,5 Prozent gestiegen. Die Folge ist ein verschärfter Wettbewerb um MFA.

Was bringt eine MFA dazu ihren Arbeitsplatz zu wechseln?

Während meiner Tätigkeit als Chefarzt einer Frauenklinik und anschließender Verantwortung als medizinischer Leiter eines MVZ habe ich beide Seiten kennengelernt. In den Klinken werden MFA meist in den Ambulanzen oder als Orgakräfte im Stationsbetrieb eingesetzt, oft ist ihre Tätigkeit selbständiger als in Praxen/MVZ, nur im den Notaufnahmen mit Wochenend- und Nachtdienst. Überwiegend muss die MFA in der Klinik nicht im „Front-End“ arbeiten, wo sich dem Ansturm der Patienten und ihren Wünschen als erste ausgesetzt sieht. Neben der meist besseren Bezahlung und geregelteren Arbeitszeiten ist die Tätigkeit in den Klinken für viele identitätsstiftender als in der Praxis/MVZ. Ausnahmen bestätigen die Regel. Vorteile in der Praxis/MVZ sind die Einbindung in ein Team, individuelle leistungsabhängige Zulagen und der niedrigschwellige persönliche Kontakt zum ärztlichen Personal. Es ist den MFA in kleineren Einheiten leichter möglich, Verständnis für ökonomische Zwänge aufzubringen. Ein großer Vorteil in der Situation niedergelassener Ärztinnen/Ärzte ist die freie Personalauswahl. In den Klinken erfolgt Ausschreibung und Besetzung offener Stellen regelhaft durch die Personalabteilung ohne Beteiligung der verantwortlichen Ärzte. Aus verständlichen Gründen kann das die Zusammenarbeit erschweren.

Die Fortbildung wird in Kliniken und Praxen/MVZ aus unterschiedlichen Gründen oft nicht zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden geregelt. In beiden Fällen sind fehlende Anreize des Aufstiegs mittel- bis langfristig Grund für die Aufgabe oder den Wechsel der Tätigkeit.

Unabhängig von der Institution gibt es Indikatoren für die Zufriedenheit der MFA mit ihrer Arbeit und dem Stolz, für das Unternehmen zu arbeiten. Sie sind nicht immer identisch, sondern abhängig von den jeweiligen sozialen Präferenzen und Perspektiven. Diese Faktoren wirken sich positiv oder negativ auf die Wahrscheinlichkeit aus, dass Mitarbeiterinnen das Unternehmen verlassen, um eine vermeintlich bessere Beschäftigungsmöglichkeit zu finden. Zu den positiven Faktoren gehören das Vertrauen der Mitarbeiterinnen in die Autorität der Führungsspitze, die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten einzubringen, sich weiterzuentwickeln und nicht zuletzt im Team mit einem positiven Feedback wahrgenommen zu werden.

Es ist nicht einfach, sich in einer „High Performance Culture“ der Gesundheitsversorgung wohl zu fühlen, in der ein kleiner Fehler weitreichende Folgen haben kann. Es gibt Vorgesetzte, die entwickeln einen untrüglichen Instinkt, Mitarbeiterinnen bei kleinsten Fehlern zu erwischen. Das ist schwer erträglich, denn Angst vor Fehlern fördert eher die Unsicherheit, als sie abzubauen. Der angemessene Umgang mit Fehlern ohne weitreichende Konsequenzen und das Lob für tadelloses Verhalten fällt vielen Führungskräften nicht leicht. Es sind meist keine größeren Meinungsverschiedenheiten, welche das Klima belasten, sondern die „Kleinigkeiten“ des Alltags. Ein Beispiel ist nach meiner Erfahrung die Enttäuschung der Mitarbeiterinnen, wenn Sie vom „Chef“ keine Rückendeckung erhalten, bei einer als ungerecht empfundenen Verteilung unangenehmer Aufgaben (Putzen, Aufräumen, e.t.c.) durch die Praxismanagerin. Grundsätzlich wird der Alltag der Mitarbeitenden durch klar zugeordnete Aufgaben und übersichtlich gestaltete Abläufe erleichtert. Es sind die Konflikte in den zwischenmenschlichen Beziehungen, die unbemerkt für eine schlechte Stimmung sorgen.
Das Engagement der Mitarbeitenden geht letztendlich auf die Summe der positiven, bzw. negativen Erfahrungen, welche die Mitarbeiter mit der Institution machen, zurück. Deshalb spielt die Schaffung einer starken Reputation und einer Identitätsmarke neben den Führungspersönlichkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Erreichen Sie eine andauernde Mitarbeiterbindung in Praxen und MVZ

Bemühen Sie sich um eine von Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung geprägte Arbeitskultur.
Formulieren Sie verständlich zu kommunizierende Ziele.
Lassen Sie sich bei Mitarbeiterauswahl nicht unter Druck setzen, bleiben Sie so selektiv wie möglich und achten Sie neben den fachlichen Fähigkeiten auch auf die Kompatibilität zum Team.
Sparen Sie im Mitarbeitergespräch die Frage nach Beziehungskonflikten im Team nicht aus.
Seien Sie bereit, wertvollen MFAs übertarifliche, faire Gehälter zu zahlen. Seien Sie offen für flexible Arbeitsmodelle, auch wenn’s wehtut. Prüfen Sie digitale Optionen. Gepflegte Dokumentationsbausteine, elektronische Signaturen, online Terminvereinbarungen u.v.a.m. können den beruflichen Alltag der MFA unterstützen und entlasten.
Und seien Sie nicht wütend oder zornig, wenn eine MFA kündigt. Das vermittelt kein Gefühl der Souveränität bei bleibenden Mitarbeiterinnen.
Meine Meinung: Jede gute Beziehung beginnt mit der Bereitschaft etwas zu geben, ohne zu wissen, was man zurückbekommt, sie endet, wenn der Vertrauensvorschuss aufgebraucht ist, bzw. missbraucht wird. Beziehungen aufrecht zu erhalten ist mühsam, zu Recht heißt es Beziehungsarbeit. Im Arbeitsleben entstehen Beziehungen dort, wo neben der fachlichen auch die sozialen Aspekte der Performanz entfaltet werden: „Handle und Entscheide so, dass du durch dein Handeln und Entscheiden langfristig die soziale und fachliche Begabung bei dir selbst und bei deinen Mitarbeitern und Kollegen eher gemehrt denn gemindert werden” (R. Lay 1992).

Das ständige Bemühen um eine ausgewogene Balance zwischen den Erwartungen und Bedürfnissen des Teams und der eigenen Interessen ist der entscheidende Treiber, um Anerkennung für sich und die Institution zu erhalten, MFA langfristig zu binden und betriebswirtschaftlich erfolgreich zu sein.

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Erfolgsmodell MVZ

Seit der Einführung im Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 ist der Anteil der Medizinische Versorgungszentren an der vertragsärztlichen Versorgung stetig gestiegen. Die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren hat im vergangenen Jahr um 11,5 Prozent zugenommen. Das hat die Auswertung der aktuellen MVZ-Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ergeben. Ende 2019 gab es bundesweit rund 3.500 Einrichtungen, in denen knapp 22.000 Ärzte tätig sind. Acht Prozent von ihnen als Vertragsärzte, 92 Prozent angestellt, rund 63 Prozent davon in Teilzeit, ohne das unternehmerische Risiko einer eigenen Praxis tragen zu müssen. Durchschnittlich arbeiten in jedem der Zentren 6,2 Ärzte. In Thüringen und Hamburg arbeite jeder fünfte Arzt, der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, in einem MVZ – bundesweit der höchste Anteil.
Bayern liegt mit 716 MVZ an der Spitze, gefolgt von Nordrhein mit 404. Bevorzugte Rechtsformen sind die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). An knapp der Hälfte der MVZ-Trägerschaften war ein Krankenhaus beteiligt, der Anteil vertragsärztlich getragener MVZ lag bei 36 Prozent. 13 Prozent entfielen auf andere Träger bzw. Trägerkombinationen. MVZ gründen sich mit 80 Prozent vorrangig in Städten oder im Umland.

MVZ bewerten wirtschaftliche Lage überwiegend positiv

Nach Umfrage des Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) schätzten etwa drei Viertel der teilnehmenden MVZ ihre Gesamtsituation im Jahr 2017 als (eher) gut ein. Rund 60 Prozent der Medizinischen Versorgungszentren haben laut Auswertung das Jahr 2017 mit einem Gewinn abgeschlossen. Bei den durch Vertragsärzte betriebenen MVZ lagen 84 Prozent in der Gewinnzone, bei denen durch Dritte, also etwa durch Krankenhäuser oder Kommunen geführten MVZ lag dieser Anteil hingegen nur bei 47 Prozent. Diese Unterschiede korrespondieren mit der abweichenden Gewinndefinition bei GmbH und GbR, betont das ZI.

Die Untersuchung erfolgte in Kooperation mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Bundesverband MVZ e.V. (BMVZ). Eine ausführliche Auswertung unter:
Fachinfo_MVZ_2020-11-26_2111693387.pdf

Kommentar: Das MVZ hat sich – trotz politischen Gegenwinds – in Ergänzung zur Einzel- bzw. Gemeinschaftspraxis etabliert. Mit der Möglichkeit sich im Verbund zu spezialisieren, bieten MVZ eine One-Stop, State-of-the-Art Versorgung. Damit sind sie im ambulanten Bereich leistungsfähiger als vergleichbare Angebote der Krankenhäuser. Jedes zweite MVZ ist im fachärztlichen Versorgungsbereich tätig. Für Ärztinnen/Ärzte ist die Tätigkeit als Angestellte im MVZ zu nehmend attraktiv, da die finanziellen und organisatorischen Belastungen eines selbständigen niedergelassenen Arztes entfallen. In nicht-vertragsärztlich geführten MVZ entfällt zusätzlich die Verantwortung für das Personal, die Sicherstellung der Qualitätsdokumentation und des Datenschutzes, ebenso wie die Finanzierung von Investitionen z.B. für EDV. Auffallend ist, dass durch Vertragsärzte betriebene MVZ profitabler arbeiten als solche, welche durch Dritte, also etwa durch Krankenhäuser oder Kommunen geführt werden.

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Respect for People

Eine dauerhafte Kultur des Respekts innerhalb einer Institution ist neben den fachlichen Fähigkeiten wichtigste Voraussetzung für die Organisation einer sicheren, effektiven und effizienten Gesundheitsversorgung. Zu diesem Schluss kommt eine Publikation aus dem Virginia Mason Medical Center: Building a Culture of Respect for People. Lynne A. Chafetz et al., NEJM Catalyst Innovations in Care Delivery, 2020.

Am Virginia Mason Medical Center führte eine mehrjährige, organisationsweite Strategie dazu, Normen und Werte sowie die zugrunde liegenden Überzeugungen, die eine Organisationskultur beeinflussen, zu identifizieren und weiterzuentwickeln. Die Aufmerksamkeit für grundlegende Verhaltensweisen führte zu erheblichen Verbesserungen im respektvollen Umgang miteinander und in der Äußerung von Dankbarkeit. Um diese „Corporate Culture“ zu erreichen, wurden alle Mitarbeitenden durch eine Reihe von Workshops eingebunden und fortlaufend über den Prozessfortschritt informiert.

Meine Meinung:
Auch wenn der Begriff Unternehmenskultur im medizinischen Bereich eher selten benutzt wird, definiert jede Institution, sei es Praxis, MVZ oder Klinik, wie Entscheidungen getroffen werden und wie gehandelt wird. Meist regeln „ungeschriebene Gesetze“ das Verhalten in Teams, sowie gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Patienten.
Häufig streben Mediziner nach einer „High Performance Culture“, ohne konkret festzulegen, was darunter zu verstehen ist. Unklarheit in den Zielen führt zu Konflikten zwischen den „Wünschen“ der Führung und dem Wissen und den Einstellungen der Angestellten. Die Bedeutung des Umgangs miteinander für den ökonomischen Erfolg wird oft unterschätzt.
Die Basis allen Erfolgs ist transparente Kommunikation von Unternehmenszielen. Was müssen wir tun, damit unsere Denkweisen und unser Handeln gemeinsamen Überzeugungen folgen und wir ein konfliktfreies Miteinander aufrechterhalten?
Fehlende oder mangelhafte Abstimmung dieser Faktoren ist häufig ein Indikator für suboptimale Loyalität gegenüber den Institutionen. Richtig verstanden ist Respekt füreinander nicht nur ein Kommunikations- sondern ein ebenso bedeutsamer Führungsansatz. Insofern kann ich der Ausführung der Autoren nur zustimmen: Gegenseitiger Respekt fördert die Leistungsfähigkeit.

Fünf Regeln für eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation

Die ganz überwiegende Mehrheit der Deutschen vertraut der Wissenschaft. Nur jeder Zehnte gab bei einer Befragung an, der Wissenschaft “nicht” oder “eher nicht” zu vertrauen. Trotz der geringen Zahl der Skeptiker – die öffentlichen anti-wissenschaftlichen Stimmen von Klimaskeptikern und Corona-Verweigerern sind ein beachtetes Phänomen der Fake-News-Ära.
“Wissenschaftler sollten unbedingt in der Lage sein, hierzu eine Gegenstimme zu liefern”. Wenn dies nicht gelinge, liege das weniger an mangelnder Intelligenz der Bevölkerung, sondern eher an den Wissenschaftlern selbst, denen es nicht gelingt, ihre Themen allgemeinverständlich auszudrücken. Für Beatrice Lugger, Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation (NaWik) in Karlsruhe bedeutet gute Wissenschaftskommunikation nicht nur, Forschungsergebnisse verständlich zu kommunizieren, sondern als Wissenschaftler mit der Bevölkerung direkt oder über die die Medien in einen Dialog zu treten.

“Die Wissenschaft ist ein zentraler Motor unserer Gesellschaft. Miteinander in den Dialog zu treten, ist daher wichtig.”

Beatrice Lugger

Forscher wissen am besten, wie Wissenschaft funktioniert, dass sie ein langsamer Prozess ist und sie ebenso aus Ergebnissen wie aus Scheitern besteht. Der Knackpunkt für gute Wissenschaftskommunikation scheint zu sein: Wissenschaftler müssen eine Übersetzungsarbeit aus der Fach- in die Alltagssprache leisten. Dabei müssen sie ihre Kernbotschaft bewahren. Zwar ist die Fachsprache gut und wichtig, ermöglicht doch sie erst den genauen Blick der Wissenschaft. Genauso wichtig sei es als Experte aber, die Detailversessenheit auf ein notwendiges Minimum reduzieren zu können, sodass der Inhalt noch richtig ist, die Aussage aber ohne fachsprachliches Wörterbuch verstanden werden kann. Wo niemand etwas versteht, könne das öffentliche Bild der Wissenschaften nicht gestärkt werden.

„Das größte Problem in der Geschichte der Menschheit ist, dass die, die Wahrheit kennen, den Mund nicht aufmachen. Und diejenigen, die von nichts eine Ahnung haben, bekommt man einfach nicht zum Schweigen.“

Dieter Hallervorden

Erfolgreiche Kommunikation heißt für Lugger: zielgruppengerechte Kommunikation. Dabei seien fünf Faktoren zu berücksichtigen: Wer ist meine Zielgruppe? Welcher Sprachstil ist passend? Welches Thema interessiert meine Zielgruppe? Welches Ziel verfolge ich? Welches Medium nutze ich dafür? Für den passenden Stil vermittelt das Institut zwölf einfache Regeln, die helfen, sich einfach auszudrücken. Auch viele Texter oder Journalisten richten sich danach. Die zwölf Stil-Regeln hat das NaWik in Form eines Kleeblatts visualisiert.

Um zu überprüfen, ob man die Regeln der klaren Kommunikation verinnerlicht hat, empfiehlt sie eine Art Probe:


“Man sollte in drei knackigen Sätzen formulieren können, woran man gerade arbeitet.”


Wer das schafft, hat seine Kernbotschaft gefunden. Bis es soweit ist, heißt es: Üben. Wenn es nach Lugger ginge, würde die Wissenschaftskommunikation zur curricularen Ausbildung eines Wissenschaftlers gehören.

Dass die Wissenschaftskommunikation noch starken Verbesserungsbedarf hat, darin ist sich Lugger sicher. Bisher liege die Hauptanstrengung meist in der institutionellen Kommunikation, also zwischen professionellen Öffentlichkeitsabteilungen und Kommunikatoren. Tatsächlich haben fast alle Universitäten und Institute heute gut funktionierende Öffentlichkeitsabteilungen. – innerhalb des Wissenschaftssystems gibt es bisher aber kaum Anerkennung für jene, die sich für die Wissenschaftskommunikation engagieren.

Auszüge eines Blogseminars der FAZ mit Beatrice Lugger, Nationales Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik).

Kommentar

Aus meiner Sicht ist der Beitrag mit Frau Lugger eine Bereicherung. Sie legt den Finger in eine offene Wunde. Viele Wissenschaftler und Experten würden sich über mehr Aufmerksamkeit für ihre Arbeit, ihr Wissen und ihre Einsichten in der Öffentlichkeit freuen. Sie scheitern meist nicht an sich selbst, sondern an den hohen Hürden, die bestehen, wenn man seine Aussagen einer größeren Öffentlichkeit präsentieren möchte. Der Begriff Post-truth („Post-Wahrheitspolitik“) wird definiert als „Bezeichnung von Umständen, unter denen objektive Fakten weniger Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung haben als Appelle an Emotionen und den persönlichen Glauben.“ Damit muss man als Wissenschaftler in einem defactualisierten Umfeld erst mal klarkommen.

Ein guter Weg. Menschen zu erreichen, ist die von Lugger vorgeschlagene zielgruppenorientierte Kommunikation. Im Wesentlichen basiert diese Empfehlung auf den bereits von Aristoteles formulierten Regeln der erfolgreichen Rhetorik. Die wichtigste Regel wird jedoch nicht genannt: Sei alterozentriert. Nach meiner Erfahrung fällt das Wissenschaftler besonders schwer. Sie fokussieren oft zu stark auf ihre eigene Leistung. Die Öffentlichkeit fragt: “What´s in for me?“

Welches Medium nutze ich dafür? Bei der mittlerweile unüberschaubaren Zahl von Medienkanälen und -plattformen geht selbst hochqualitative Wissenschaftskommunikation oft in der Masse an Informationen verloren. Hier braucht es meist professionelle Unterstützung, um die Anstrengungen nicht wirkungslos verpuffen zu lassen.

Üben. Ja man kann die Regeln einer verständlichen Wissenschaftskommunikation lernen. Schlussendlich sind jedoch drei Faktoren unentbehrlich: Talent, Spaß an der Sache und manchmal auch die Bereitschaft sich zu quälen.

„Auch wenn Journalisten keine eigenen Gedanken haben erhöhen sie wenigstens die Umlaufgeschwindigkeit fremder Gedanken.“

Rudolf Gerhardt

Worüber Frau Lugger nicht spricht: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, geht ein hohes Risiko ein. Im Feuer der Öffentlichkeit kann man sich leicht ein paar Brandblasen einfangen. Jede einzelne Aussage wird überkritisch geprüft, gern werden Wissenschaftler unabsichtlich, nicht selten auch absichtlich missverstanden. Der kollegiale Dialog wird in der Öffentlichkeit zum Streitgespräch. Medien gieren geradezu nach Wissenschaftlern, die Aussagen ihrer Kollegen in Frage stellen. Es ist leicht, jemand zu finden, der dagegen ist. Das rationale „audiatur et altera pars“ („Man höre auch die andere Seite“) wird als Instrument der Wahrheitsfindung ersetzt durch ein überwiegend emotional geprägtes Gegenszenario. Um den Unterhaltungseffekt der Auseinandersetzung zu steigern, schrecken Medien selbst vor falschen Zitaten und böswilligen Attacken gegen kritische Mahner nicht zurück.

Wer es sich nicht leicht macht, hat es nicht leicht. Kurt Tucholsky hat dies erlebt. Er sprach, schrieb und zuletzt schwieg er.

Die Darstellung des Arztes in der Öffentlichkeit

Ärzte finden in den Medien selten Beachtung. Nur wenn sie durch spektakulären Aktionen auffallen oder an diesen beteiligt sind, finden sie Eingang in die Berichterstattung. So waren es die Herzchirurgen Denton Cooley und Michael Ellis DeBakey – deren Rivalität ich als junger Assistent aufmerksam verfolgt habe -, welche mehrere Seiten z.B. im „Stern“ mit ihren Storys füllen konnten. Später war es dann Christian Barnard, der 2004 hinter Nelson Mandela auf Platz 2 der Liste der 100 größten Südafrikaner aller Zeiten gewählt wurde. Barnard wurde endgültig zum Medienstar, als er mit einem bekannten Nacktmodell im Arm auf der Titelseite einer Illustrierten zu sehen war. In unserem Fachgebiet war es Robert Edwards, Genetiker und Pionier auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin. Der nicht unwesentliche Beitrag des Gynäkologen Patrick Christopher Steptoe fand kaum Beachtung. Ich selbst habe erlebt wie ein Übertragungswagen von RTL vor der Klinik aufgefahren wurde und Reporter versuchten über Leitern in die Klinik zu gelangen, wo sich eine prominente Wöchnerin befand, die Informationen über die Schwangerschaft und Geburt exklusiv an eine Boulevard Zeitung verkauft hatte. Weniger aggressiv aber nicht weniger drängend, verhielten sich Journalisten, als in unser Klinik ein 12-jähriges Mädchen entbunden wurde. Das Interesse fokussierte sich auf die Frage, ob die Zeugung einvernehmlich erfolgt sei. Die ärztliche Leistung einer schonenden vaginalen Entbindung wurde nie erwähnt.

Medien verzerren das Arztbild der Gesellschaft. Ärzte wie Eckart von Hirschhausen präsentieren sich als Kabarettisten oder als zentrale Gestalt gegen den Mainstream, wie Dietrich Grönemeyer. Für ihn und andere Verfechter eigenständiger Medizinkonzepte wurde der Ausdruck Medizinunternehmer geprägt. Ein besonderer Fall war der Chirurg Julius Hacke-thal. Manche werden sich erinnern. Unglaublich aber wahr: Über Nacht mutierte der Landarzt Helmut Keller aus dem fränkischen Marktflecken Nordhalben mit Hilfe der Bild-Zeitung zum Krebsarzt der Nation.

Arztserien sind beliebt. Das Arztbild im TV orientiert sich am Ideal der Zuseher. Im Vergleich schneidet die Wirklichkeit dann oft deutlich schlichter ab. Wenn ein operativer Eingriff eigentlich problemlos und nach Plan verlaufen ist, zeigen sich PatientInnen nicht selten fast enttäuscht, weil sie mit einem dramatischeren Verlauf – natürlich mit gutem Ausgang – nach ihren TV Erfahrungen gerechnet haben.

In den Printmedien wurden hochrangige MedizinjournalistInnenen beim Ausscheiden nicht mehr ersetzt (Sparzwang). Das Thema Medizin wurde in allgemeine Wissenschaftsredaktionen verlagert. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Qualität der Berichterstattung hat deutlich nachgelassen. Ärztliche Berater sind zunehmend gefragt.

„Das Bild des Arztes in der Öffentlichkeit ist einem dauerhaften Wandel unterzogen. Das Bild verliert seine Einheitlichkeit in dem Maße, in dem zunehmendes Wissen und technisches Vermögen eine Fülle an unterschiedlichen Spezialisierungen schafft. Die begleitenden notwendigen Regulierungen bewirken eine hohe Komplexität, in der das Berufsbild sich mit dem Standpunkt erheblich ändern kann. Die freiberufliche Eigenständigkeit des Arztes ist in der Komplexität immer weniger wahrnehmbar. Gleichzeitig hat das Bild des Arztes als „ein angemessener Begleiter“ seine Strahlkraft noch nicht eingebüßt.

U. Schwantes Der Wandel des Arztbildes in der Öffentlichkeit.

Um ein Bild eines hervorragenden Ansprechpartners in Krankheits- und Gesundheitsfragen durch Präsens in Print und TV zu fördern, leisten sich größere Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen immer häufiger einen (internen oder externen) Kommunikationsmanager. Er organisiert, um die positive Wahrnehmung und den Bekanntheitsgrad der Institution kontinuierlich wach zu halten, dass MedizinerInnen von den Medien als Experten zu einem aktuellen medizinischen Thema interviewt werden, in einer Tageszeitung eine Pressemeldung veröffentlicht wird, der Webauftritt und soziale Medien kontinuierlich gepflegt werden u.v.a.m. Da diese Kommunikationsexperten meist Angestellte der Institution sind, konzentrieren sie sich auf die Imagepflege der Institution und vernachlässigen zu häufig das Bild der verantwortlichen Ärzte/Ärztinnen. Freiberufliche Ärzte/Ärztinnen sind in dieser Beziehung freier, können oder wollen aber diese Freiheit nicht nutzen. Die Kosten für eine qualifizierte Medienbetreuung sind nicht unbeträchtlich. Ein Budget vom ca. 3-4 % des Umsatzes erscheint jedoch nicht unzumutbar. Das bedeutet für eine durchschnittliche Praxis ca. 5 T€. Damit könnten die Pflege Unternehmenswebsite, Social-Media-Präsenz und eventuell sogar ein Blog und Newsletter finanziert werden.

Wer als Arzt/Ärztin darauf verzichtet im Rahmen seiner Außendarstellung den Patienten, die Patientinnen in digitalen Medien sachlich über seine Qualifikation, Leistung und Ausstattung zu informieren, riskiert ein „old school“ Image. Grundsätzlich muss das nicht negativ sein. Wer auf die Mund-zu-Mund Propaganda vertraut, kann damit in seiner „Bubble“ erfolgreich bleiben. Die Neugewinnung und Bindung interessanter Patienten/Patientinnen geht anders.

Für Interessierte: In ihrer Dissertation beschreibt Ch. M. S. Laib, 2017 „Das Bild des Arztes und sein Auftrag in der Gesellschaft von 1949 bis zur Gegenwart im Spiegel des Deutschen Ärzteblattes.“

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