Ambiguitätstoleranz. Lernen, mit Mehrdeutigkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu leben

Vor mehr als 70 Jahren in den USA entdeckte Else Frenkel-Brunswik, österreichisch-US-amerikanische Psychoanalytikerin und Psychologin, in ihren sozialpsychologischen Studien das Persönlichkeitsmerkmal der Intoleranz der Ambiguität.
Sie verstand darunter das Nicht-Ertragen-Können von Mehrdeutigkeit. Einige Menschen können mehrdeutige und gegensätzliche Sachverhalte nicht ertragen und sie sind unfähig, sich in die Sichtweise anderer Menschen im Sinne eines Perspektivenwechsels hineinzuversetzen. Es herrscht dann eine starre, unflexible, zwanghafte Haltung vor; Zwischentöne und komplexe Sachverhalte irritieren und werden abgelehnt.

„Von Risiko sprechen wir, wenn Sie die Wahrscheinlichkeit kennen, mit der ein Ereignis eintreten wird. Ambiguität bedeutet, kein Wissen über die Chancen oder Risiken zu haben.“

Oriel FeldmanHall

Für Unternehmen, die schadlos durch die Krise kommen wollen, kommen nicht umhin die Ambiguitätstoleranz der Mitarbeitenden zu fördern. Um ein Nebeneinander von positiven und negativen Eigenschaften in der aktuellen Situation erkennen zu können, braucht es eine kompetente interne Kommunikation und Anleitung. Gestaltung und Struktur der Kommunikation in den Medien zum Thema Covid-19 hat zu einem Überangebot an Informationen geführt, die nicht frei von Widersprüchen sind. Nur ambiguitätstolerante Menschen sind in der Lage mehrdeutige Nachrichten, die für sie schwer verständlich sind, zu ertragen, ohne diese einseitig negativ, bzw. vorbehaltlos positiv zu bewerten.

Die Interpretation der Ergebnisse klinischer Studien ist nichts für zarte Gemüter. Wissenschaftler wundert es nicht, dass der Fortschritt der Erkenntnis oft nur zu einer Präzisierung, bzw. Differenzierung der Fragestellung führt. Das ist kein Grund sich über etabliertes Wissen hinwegzusetzen.

Ein Corona-Berater als zentraler Ansprechpartner für die Mitarbeitenden ist ein stabilisierender und beruhigender Faktor, der die Führungskräfte entlastet, indem er Widersprüche auflöst, sowie als Ansprechpartner bei individuellen Fragen im beruflichen und privaten Umfeld zur Verfügung steht.

Es ist eine Kunst, wissenschaftliche Ergebnisse zu lesen und zu schreiben – und das kann man nicht auf die Schnelle lernen. Aufgabe eines qualifizierten Corona-Beauftragten ist es, die Probleme, unterschiedliche Einschätzungen und veränderte Perspektiven insbesondere für leitende Angestellte, Investoren oder Entscheidungsträger deutlich zu machen, falls sie daran interessiert sind, mehr zu erfahren. Zusätzlich ist er als „Forecaster“ gefragt, der die Erstellung von Vorhersagen über die Zukunft auf der Grundlage vergangener und gegenwärtiger Daten und die Analyse von Trends moderiert. Beispielsweise könnte die alltägliches Abschätzung der publizierten variablen Daten für das Unternehmen von Interesse sein.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung, die neue Medien und soziale Netzwerke als Informationsquellen haben, sind sie zum Mittel einer erfolgreicher Wissenskommunikation geworden. Verantwortungsvolle Unternehmen werden ihre Mitarbeitenden bei der Auseinandersetzung mit der einsetzenden Zuspitzung der öffentlichen Auseinandersetzung durch kluge Hinweise unterstützen, vor allem um der Emotionalisierung und wachsenden Empörungsbereitschaft vorzubeugen. Wenn Misstrauen gegenüber politischen Autoritäten entsteht, wird sich früher oder später die Unternehmensführung damit konfrontiert sehen.

Jin der heutigen Zeit sind rationale Diskussion und Kompromissbildung schwieriger geworden, die Verständigungsbereitschaft nimmt ab. Übertreibung wird normal, verbreitete Unsicherheit ist die Folge. Helfen Sie ihren Mitarbeiter*innen nachvollziehbare Erkenntnisse über die wesentlichen Eigenschaften, kausalen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Coronapandemie zu erkennen und damit das Vertrauen in die Führung zu fördern. Bereit sein, die eigene Meinung flexibel mit der Entwicklung zu hinterfragen und zu ändern – das ist die wichtigste Voraussetzung zur Meisterung der aktuellen Krise.

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Portraitfoto von Prof. Dr. med. H.-Peter Scheidel
Über Peter Scheidel

Prof. Dr. med. Peter Scheidel war von 1989 bis 2008 Chefarzt der Frauenklinik im Marienkrankenhaus Hamburg und von 2009 bis 2017 Leitender Arzt im  Mammazentrum Hamburg – 2017 ausgezeichnet mit dem German Brand Award.
Seit 2018 bietet er verhaltenes Mittun beim erfolgreichen und verantworteten unternehmerischen Handeln im Bereich der Gesundheitswirschaft