Stand der Impfprävention im Bereich einrichtungsbezogener Tätigkeiten 

Insbesondere hochbetagte Menschen, pflegebedürftige Menschen und Personen mit akuten oder chronischen Grundkrankheiten haben ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere, ggf. auch tödliche COVID-19 Krankheitsverläufe (vulnerable Personengruppen). Um diese Menschen vor einer Infektion zu schützen und dadurch zu einer Entlastung des Gesundheitssystems beizutragen und die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber eine gesetzliche Impfpflicht gegen COVID-19 in bestimmten Einrichtungen beschlossen. Diese reichen von Krankenhäusern über Arzt- und Zahnarztpraxen bis hin zu Rettungsdiensten und Sozialpädiatrischen Zentren. 

„Alle Personen, die in den betroffenen Einrichtungen und Unternehmen tätig sind, müssen bis zum Ablauf des 15. März 2022 der Leitung einen COVID-19-Immunitätsnachweis vorlegen. Ein verlässlicher Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine sehr hohe Impfquote bei dem Personal in diesen Berufen ist besonders wichtig, denn so wird das Risiko gesenkt, dass sich die besonders gefährdeten Personengruppen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren. Bei gegen COVID-19-geimpftem Personal ist eine Übertragung des Virus (auch gegenüber Geimpften) erheblich weniger wahrscheinlich als durch ungeimpftes Personal.“ Ist das so?

Sind für eine vollständige Immunisierung 2 Impfstoffdosen ausreichend?

In der Handreichung des BMG zur Impfprävention (1) in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten wird eindeutig festgelegt: „Die zugrundeliegenden Schutzimpfungen müssen den vom Paul Ehrlich-Institut im Benehmen mit dem Robert-Koch-Institut veröffentlichten … Kriterien entsprechen. Nach den Vorgaben des PEI sind für eine vollständige Immunisierung 2 Impfstoffdosen notwendig. Ausreichend ist ebenfalls eine nachgewiesene Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, mit oder ohne eine weitere Impfdosis (ohne zeitliche Begrenzung). 

Abweichend empfiehlt die STIKO für einen vollständigen Impfschutz einen dreimaligen Viruskontakt und für Tätige in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen sogar nach abgeschlossener Grundimmunisierung und erfolgtem „Booster“ eine 2. Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff. Personal in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen wird die 2. Auffrischimpfung frühestens nach 6 Monaten (in Ausnahmefällen nach 3 Monaten) empfohlen (2).

Impfschutz in Zeiten von Omikron

Der Impf-Schutz vor Infektion und Übertragung kann nach vorliegenden Studien in Bezug auf Omikron BA.1, das wir erst seit vier und BA.2, das wir erst seit drei Monaten beobachten, noch nicht exakt beziffert werden. In Israel waren nach der 4. Dosis 25,0 % der Pflegekräfte in der Kontrollgruppe ohne weitere Impfung mit der Omikron-Variante infiziert, verglichen mit 18,3 % der Teilnehmer in der BNT162b2-Gruppe (BioNTech) und 20,7 % der Teilnehmer in der mRNA-1273-Gruppe (Moderna). Die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen jegliche SARS-CoV-2-Infektion betrug 30 % für BNT162b2 und 11 % für mRNA-1273. 

Der Wert einer Impfpflicht galt uneingeschränkt für Delta, kann unter Omikron aber offenbar weder Infektionen noch die Transmission kurzfristig unterbinden. Nach aktuellen Daten des UK Department of Health & Social Care betrug die Wirksamkeit gegen Omikron in England nach 2 Dosen nur etwa 10 % (9 bis 11 %) bzw. 18 % (5 bis 29 %) für BA.1 und BA.2, nach mehr als 25 Wochen. Deshalb wird in England jetzt ein „Spring Booster“ – eine zusätzliche Frühjahrsimpfung etwa 6 Monate nach der letzten Impfdosis – als Vorsichtsmaßnahme zur Aufrechterhaltung eines hohen Immunitätsniveaus für Personen mit einem erhöhten Risiko, sich mit dem Coronavirus (COVID-19) zu infizieren, empfohlen: 

Die Daten aus Israel zeigen, dass die meisten der nach einer 4. Dosis infizierten Beschäftigten des Gesundheitswesens potenziell auch infektiös waren, da sie eine hohe Viruslast (Schwellenwert für den Nukleokapsidgenzyklus ≤25) aufweisen. Was die Transmission allgemein betrifft gibt es vorläufige Daten wonach die initiale Viruslast hoch ist, sie jedoch nach Symptombeginn bei Geimpften etwas schneller absinkt, was eine verkürzte Isolation rechtfertigen könnte.

Alle vorliegenden Daten sprechen dafür, dass erst nach drei Kontakten mit dem Virus (Gimpft/Geboostert und Geimpft/Genesen) ein relevanter Schutz entwickeln wird, der für erstere ca. 3 Monate, für letztere (abhängig vom Verlauf der Erkrankung) mindestens 6 Monate anhält und danach deutlich nachlässt.  Die aktuellen Zahlen der RKI zeigen, dass in der Altersgruppe 18 – 59 Jahre bei 286 978 symptomatischen Fällen (in den KW 05 – 09 2022) 74.970 ungeimpft, 77 975 grundimmunisiert und 134 051 mit Auffrischungsimpfung („Booster“) betroffen waren. Diese Zahlen in Deutschland sprechen dafür, dass auch ein Impfstoff-Booster keinen zuverlässigen Schutz gegen Omikron-induzierte Atemwegserkrankungen bieten kann, wobei neben anderen Faktoren der Zeitraum zwischen Booster und Infektion entscheidend sein dürfte..

England mit seinen hohen Impfqouten, hatte bereits im Februar mit den Lockerungen begonnen. In der Folge kam es zunächst zu einem Anstieg der Reinfektionen und auch der Mortalitätsraten, der sich derzeit wieder abschwächt. In den USA zeigte sich, dass auch die Omikron-Variante mit erheblichen kritischen Erkrankungen und Todesfällen verbunden ist: 15 % der mit der Omikron-Variante hospitalisierten Patienten (sowohl geimpfte als auch ungeimpfte) mussten invasiv mechanisch beatmet werden und 7 % starben im Krankenhaus. Bei geimpften Patienten, die mit COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, wurde ein höherer Schweregrad der Erkrankung im Vergleich zu Delta bei allen Varianten deutlich seltener beobachtet als bei ungeimpften Patienten

Deutschlang ohne valide Daten über die Auswirkung von Corona-Maßnahmen

Bei der Frage, ob eine einrichtungsbezogene Impfpflicht sinnvoll sein kann, sind wir auf Erfahrungen aus anderen Ländern angewiesen, da es in Deutschland keine zuverlässige Datenerhebung gibt. Insbesondere Großbritannien und Dänemark waren beispielgebend für die COVID-19 Strategie in Deutschland. Das ist auch den Abgeordneten im Bundestag bewusst, so:“… sollen die neue einrichtungsbezogene Impfpflicht und die Erweiterung des Kreises der impfberechtigten Personen auf ihre Wirksamkeit und Reformbedürftigkeit hin überprüft werden. Die bislang vorliegende Patientendatenbasis zur COVID-19-Pandemie ist in Deutschland nach Auffassung der Gesetzesinitiatoren unzureichend. Sie müsse umgehend und umfassend überarbeitet und erweitert werden.“ Geeignete Maßnahmen werden im Gesetz leider nicht erwähnt.

Zusammenfassung:

Der Impfschutz vor symptomatischen Infektionen gegen Omikron nimmt mit dem Abstand zur Auffrischimpfung ab und scheint zur sicheren Verhinderung von Infektionen nicht ausreichend hoch zu sein. Wie schon angeführt liegt die Wirksamkeit gegen eine Infektion mit Omikron nach 2 Dosen unter 20 %. 

Bei der Hospitalisierung und noch deutlicher bei den Intensivpatienten sieht es besser aus. In der geimpften Bevölkerung lag insbesondere die Inzidenz der hospitalisierten Fälle deutlich unter der Inzidenz der ungeimpften Bevölkerung.  So kommt es, dass bei Hospitalisierungen in den Altersgruppen unter 59 Jahren zu einem Teil die SARS- CoV-2-Infektion nicht ursächlich für die Krankhauseinweisung ist, während sie bei Hospitalisierungen ab 60-Jähriger zumindest als mit-ursächlich zu bewerten ist. Die Impfung bewahrt viele infizierte Menschen vor schweren Verläufen, wahrscheinlich wird auch das Risiko für Long-COVID reduziert. 

Alle Studien belegen, dass eine dritte Dosis der mRNA-Impfstoffe Impfstoffe erforderlich ist, um ausreichend neutralisierende Antikörpertiter gegen BA.1 oder BA.2 zu induzieren. Der Schutz gegen BA.2 scheint nicht schneller nachzulassen als der Schutz gegen BA.1. Eine Auffrischungsimpfung brachte in Qatar den Schutz gegen eine symptomatische Infektion durch eine der beiden Subvarianten wieder auf 30-60 %. Die im Vereinigten Königreich erhobenen Überwachungsdaten zeigen einen ähnlichen Trend: Die nachlassende Wirksamkeit des Impfstoffs gegen symptomatische COVID-19 für beide Subvarianten steigt 2-4 Wochen nach der dritten Dosis kurzfristig auf etwa 70 % an. Eine weitere Studie bestätigt, dass mRNA-Impfstoffe einen ähnlichen Schutz gegen die beiden Omikron Stämme bieten – auch wenn der Schutz gegen Infektionen und symptomatische Erkrankungen auch nach der dritten Dosis mit der Zeit abnimmt. Der Schutz beträgt nach 4-6 Monaten nur noch etwa 10 %, was bedeutet, dass die Impfstoffe nur 10 % der Fälle verhindern, die aufgetreten wären, wenn alle Personen ungeimpft geblieben wären.

Es ist ein weiteres Problem der Impfpflicht, dass es für Nuvaxovid, den ursprünglichen Hoffnungsträger für Impfskeptiker, keine Daten zur Wirksamkeit gegen Omikron und auch keine zugelassene Auffrischimpfung gibt. Wäre man im politischen Entscheidungsprozess den Empfehlungen des RKI gefolgt, könnten bislang Ungeimpfte z.B. mit Spikevax  – selbst bei einer vorgezogenen Auffrischungsimpfung –  (nach dreimaliger Impfung)  frühestens nach 5 Monaten einen Immunitätsnachweis erbringen. Hinzukommt, dass man offenbar eine möglichst hohe Rechtssicherheit gewährleisten wollte. Die Empfehlungen des RKI (z.B. Dauer des Schutzstatus bei Genesenen) wurden in Streitfällen vor Gericht nicht als rechtsverbindlich anerkannt. 

Fazit: Omikron zeigt im Vergleich zu Delta insgesamt einen deutlich geringeren impfinduzierten Schutz gegen die Ansteckung mit dem Virus. Auch wenn zum „Immunitätsnachweis“ formal eine zweimalige Impfung ausreicht, kann man gefährdeten Personen nur dringend raten, nach der Grundimmunisierung zumindest einen Booster, ggf. auch eine 4. Dosis zu akzeptieren. Die hybride Immunität, die aus einer erfolgten Infektion und einer zeitnah erfolgten Auffrischungsimpfung  – davor oder danach – resultiert, verleiht den stärksten Schutz gegen beide Omikron Subvarianten. 

Literatur:

1. Die Handreichung zur Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten des BMG vom 22.2.2022 bezieht sich auf den Impfnachweis im Sinne des § 2 Nummer 3 der COVID-19 Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung des PEI.

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/FAQs_zu_20a_IfSG.pdf

2. COVID-19 und Impfen: Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ)

Gesamtstand: 19.3.2022
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html

3. Vaccines protect against infection from Omicron subvariant — but not for long. Nature NEWS. 18 March 2022

https://www.nature.com/articles/d41586-022-00775-3?utm_term=Autofeed&utm_campaign=nature&utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1647994564

Zurück zum Blog

Portraitfoto von Prof. Dr. med. H.-Peter Scheidel
Über Peter Scheidel

Prof. Dr. med. Peter Scheidel war von 1989 bis 2008 Chefarzt der Frauenklinik im Marienkrankenhaus Hamburg und von 2009 bis 2017 Leitender Arzt im  Mammazentrum Hamburg – 2017 ausgezeichnet mit dem German Brand Award.
Seit 2018 bietet er verhaltenes Mittun beim erfolgreichen und verantworteten unternehmerischen Handeln im Bereich der Gesundheitswirschaft