Unter Gerechtigkeit verstand Meister Eckhart (Theologe und Philosoph des Spätmittelalters) nicht eine bestimmte Art der Verteilung irdischer Güter, sondern die Haltung desjenigen, der nicht aus eigenem Antrieb, sondern aus göttlichem Impuls handelt und daher stets das Richtige – der jeweiligen Situation Angemessene – tut. Für Thomas von Aquin (1225-1274)war es völlig okay, dass Menschen umso besser bezahlt wurden, je höher sie in der gesellschaftlichen Hierarchie standen. Der katholische Sozialtheoretiker Oswald von Nell-Breuning (1890-1991) löste die Frage der Gerechtigkeit vollkommen von der Entstehung des Lohns: „Welche Verteilung als gerecht angesehen werden kann, ist in einer dynamisch-expansiven Wirtschaft weniger kausal als teleologisch determiniert: Welche Aufgaben sollen – und wollen! – bestimmte Kreise erfüllen; wie müssen sie vermögens- und einkommensmäßig gestellt sein, um diese Aufgaben . . . erfüllen zu können“ (Süddeutsche Zeitung 2015).
Die Diskussion um Lohn, Gehalt und Verdienst wird oft primär auf das monetäre Einkommen eines Arbeitnehmers fokussiert. Per Definition ist der Lohn jedoch nicht nur die Bezahlung für geleistete Arbeit, sondern etwas, womit man für eine Leistung entschädigt wird; gewissermaßen eine Belohnung. Viele Unternehmen versuchen durch geldwerte Nebenleistungen oder auch Fringe Benefits in Form unentgeltlicher oder vergünstigter Sachleistungen zusätzlich zum Gehalt beziehungsweise Lohn zu „belohnen“.
Ein Teil des Lohns für eine Tätigkeit bestand lange Zeit auch in den immateriellen Gütern, d.h. mit einer hohen sozialen Anerkennung für „dienende“ Berfufsgruppen, z.B. für Müllwerker, Pflegeberufe, Leher:innen, aber auch Ärzt:innen verbunden waren: Akzeptanz, Wertschätzung, Geltung und Status. Unzweifelhaft treibt das Bedürfnis, innerhalb der Gesellschaft anerkannt zu werden, unser Verhalten an vielen Stellen. In den Debatten über soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Konflikte spielt die Kategorie der Anerkennung zumeist eine untergeordnete Rolle. Einerseits ist jeder Mensch, wie Parsons sagt, primär an der Wahrung einer Form von „Selbstachtung“ interessiert, die auf die Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner angewiesen ist, andererseits wird eine „Ehrung“ ohne materielle Begleitleistung zunehmen als unzureichend empfunden. Wenn Lob als Teil der Belohnung auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr akzeptiert wird, dann begünstigt dies aktuelle Trends wie“ „act your wage“ (Handle nur so viel, wie dein Gehalt es vorgibt) oder auch „Quiet Quitting“, eine Arbeitseinstellung von Menschen, die Ihren Lohn als unangemessen betrachten und beschließen, dass es für sie Wichtigeres im Leben gibt als den aus ihrer Sicht aussichtslosen Kampf gegen eine als ungerecht empfundene monetäre Entlohnung für beruflichen Erfolg. Sie suchen ihre „Selbstachtung“ im Verzicht.
Und was hat das mit Ärzt:innen zu tun?
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt tobt derzeit eine Auseinandersetzung um die Zukunft der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung. Es mehren sich die Stimmen das Gesundheitswesen gehöre in die öffentliche Hand. Das Ziel einer ärztlichen Versorgung dürfe nicht die Gewinnerzielung sein. Aus ärztlicher Sicht hingegen ist die Orientierung am Patientenwohl und eine betriebswirtschaftliche Praxisführung – und damit ein gerechter Lohn -nicht notwendigerweise ein Zielkonflikt.
In der Krankenversicherung wird 2023 ein Rekorddefizit von 17 Milliarden Euro erwartet. Nun glaubt die Bundesregierung mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr durch eine „gerechte“ Lastenverteilung sanieren zu können. Man hofft mit Einsparungen bei Ärzten und Ärztinnen, Apotheken und der Pharmaindustrie eine Grundlage zur mittel- und langfristigen Sicherung einer solidarischen und nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung legen zu können. Alle an der Gesundheitswirtschaft Beteiligten sollen auf einen Teil ihrer Erlöse verzichten, um die solidarisch finanzierte Umverteilung zu Gunsten von Personen mit geringem Einkommen aufrecht erhalten zu können. Die Krankenversicherungskosten für Menschen ohne Arbeit sind maßgeblich die Ursache für die finanzielle Schieflage der Krankenkassen. Die Priorisierung der Verteilung von Transferleistungen, die von einer Gesellschaft erwirtschaftet werden müssen, ist Aufgabe des Gesetzgebers.
„Das Finanzierungsproblem der GKV wäre beendet, wenn die Länder für die Investitionen bezahlen würden, wenn der Bundesarbeitsminister für die ALG-II-Empfänger zahlen würde und wenn der Mehrwertsteuersatz für Arzneimittel reduziert würde“, Ch. Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse.
Um dem Anstieg der Kosten zu begegnen, forderte der Kassenverband den Gesetzgeber u.a. dazu auf, den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten einen Inflationsausgleich für die Jahre 2023 und 2024 komplett zu versagen. Und das vor dem Hintergrund von Wartelisten in Rekordhöhe, steigenden Energiekosten, Personalproblemen und zunehmender Nachfrage nach psychosozialer Unterstützung.
In Hinblick auf den bereits in den vergangenen Jahre erzwungenen Verzicht empfinden Ärzt:innen eine weitere Minderung ihres Honorars als ungerecht. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte stehen ungewollt in einem zunehmenden Kampf zwischen verständlichem Eigennutzen und gemeinnütziger Kooperation. Wie dieser Konflikt ausgeht, ist aber nicht nur für sie persönlich wichtig, sondern entscheidend für die Weiterentwicklung unserer Gesundheitsversorgung.
Nun steht man an der Schwelle von möglichen Streiks der Beschäftigten im ambulanten Versorgungssektor, wie wir sie bereits aus den Krankenhäusern kennen. Wenn Ärzt:innen streiken, dann streiken sie im Wesentlichen für einen höheren Anteil am Geld der Allgemeinheit – zu Lasten anderer Verwendungen. Auf den ersten Blick hat das mit Gerechtigkeit nichts zu tun, sondern mit Interessenvertretung. Beim Einkommen der Ärzt:innen geht es immer auch um die Leistungsfähigkeit dessen, der die Löhne zahlen soll , der Kranken- und Pflegeversicherung, die dauerhaft nur in Höhe der Versicherungsprämien erbracht werden können oder des Staates aus Steuereinnahmen. Auf den zweiten Blick wird die Versorgung der Bevölkerung kollabieren, falls Ärzt:innen ihrem Hang zu Selbstausbeutung aufgeben und dem Prinzip des „act your wage“ folgen.
Für selbständig tätige Mediziner:innen ist eine „Work-Life-Balance“ kaum zu realisieren. Das aktuelle Berufsmonitoring für Medizinstudierende zeigte in der Konsequenz ein immenses Interesse der Medizinstudierenden an einer Angestelltentätigkeit (96%). Deutlich gewachsen ist seit 2010 vor allem das Interesse an einer Anstellung im ambulanten Sektor. Es stieg von 67,3 auf 77,4 Prozent. Interessierten sich 2010 noch weniger als die Hälfte der Medizinstudierenden für eine Anstellung in einer Arztpraxis (49%), waren es in diesem Jahr mehr als zwei Drittel (68%). Das Interesse an einer Anstellung im MVZ wuchs von 56 auf 66 Prozent.
Die Kosten im Gesundheitswesen werden weiterhin steigen. Neben dem wissenschaftlichen Fortschritt, der Demographie, aktueller Krisen (COVID-19, Migration) u.v.a.m. sind es vor allem die im OECD-Vergleich hohen stationären Fallzahlen und die viel zu hohe Anzahl von Arztbesuchen, welche die steigenden Kosten verursachen. Kein GKV-Stabilisierungsgesetz konnte bislang dagegen ankommen. Solange es systembedingt keine sozial verträgliche Einschränkung der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen gibt, wird die Diskussion um eine gerechte Lastenverteilung an Härte zunehmen.
Die Diskussion um Lohn, Gehalt und Verdienst wird oft primär auf das monetäre Einkommen eines Arbeitnehmers fokussiert. Per Definition ist der Lohn jedoch nicht nur die Bezahlung für geleistete Arbeit, sondern etwas, womit man für eine Leistung entschädigt wird; gewissermaßen eine Belohnung. Viele Unternehmen versuchen durch geldwerte Nebenleistungen oder auch Fringe Benefits in Form unentgeltlicher oder vergünstigter Sachleistungen zusätzlich zum Gehalt beziehungsweise Lohn zu „belohnen“.
Ein Teil des Lohns für eine Tätigkeit bestand lange Zeit auch in den immateriellen Gütern, d.h. mit einer hohen sozialen Anerkennung für „dienende“ Berfufsgruppen, z.B. für Müllwerker, Pflegeberufe, Leher:innen, aber auch Ärzt:innen verbunden waren: Akzeptanz, Wertschätzung, Geltung und Status. Unzweifelhaft treibt das Bedürfnis, innerhalb der Gesellschaft anerkannt zu werden, unser Verhalten an vielen Stellen. In den Debatten über soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Konflikte spielt die Kategorie der Anerkennung zumeist eine untergeordnete Rolle. Einerseits ist jeder Mensch, wie Parsons sagt, primär an der Wahrung einer Form von „Selbstachtung“ interessiert, die auf die Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner angewiesen ist, andererseits wird eine „Ehrung“ ohne materielle Begleitleistung zunehmen als unzureichend empfunden. Wenn Wertschätzung als Teil der Belohnung auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr akzeptiert wird, dann begünstigt dies aktuelle Trends wie “ act your wage“ (Handle nur so viel, wie dein Gehalt es vorgibt) oder auch „Quiet Quitting“, eine Arbeitseinstellung von Menschen, die Ihren Lohn als unangemessen betrachten und beschließen, dass es für sie Wichtigeres im Leben gibt als den aus ihrer Sicht aussichtslosen Kampf gegen eine als ungerecht empfundene monetäre Entlohnung für beruflichen Erfolg. Sie suchen ihre „Selbstachtung“ im Verzicht.
Und was hat das mit Ärztinnen und Ärzten zu tun?
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt tobt derzeit eine Auseinandersetzung um die Zukunft der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung. Es mehren sich die Stimmen das Gesundheitswesen gehöre in die öffentliche Hand. Das Ziel einer ärztlichen Versorgung dürfe nicht die Gewinnerzielung sein. Aus ärztlicher Sicht hingegen ist die Orientierung am Patientenwohl und eine betriebswirtschaftliche Praxisführung – und damit ein gerechter Lohn -nicht notwendigerweise ein Zielkonflikt.
In der Krankenversicherung wird 2023 ein Rekorddefizit von 17 Milliarden Euro erwartet. Nun glaubt die Bundesregierung mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr durch eine „gerechte“ Lastenverteilung sanieren zu können. Man hofft mit Einsparungen bei Ärzten und Ärztinnen, Apotheken und der Pharmaindustrie eine Grundlage zur mittel- und langfristigen Sicherung einer solidarischen und nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung legen zu können. Alle an der Gesundheitswirtschaft Beteiligten sollen auf einen Teil ihrer Erlöse verzichten, um die solidarisch finanzierte Umverteilung zu Gunsten von Personen mit geringem Einkommen aufrecht erhalten zu können. Die Krankenversicherungskosten für Menschen ohne Arbeit sind maßgeblich die Ursache für die finanzielle Schieflage der Krankenkassen.
In Hinblick auf den bereits in den vergangenen Jahre erzwungenen Verzicht empfinden Ärzt:innen eine weitere Minderung ihres Honorars als ungerecht. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte stehen ungewollt in einer zunehmenden Auseinandersetzung zwischen verständlichem Eigennutzen und gemeinnütziger Kooperation. Wie dieser Konflikt ausgeht, ist aber nicht nur für sie persönlich wichtig, sondern entscheidend für die Weiterentwicklung unserer Gesundheitsversorgung.
Nun steht man an der Schwelle von möglichen Streiks der Beschäftigten im ambulanten Versorgungssektor, wie wir sie bereits aus den Krankenhäusern kennen. Wenn Ärzt:innen streiken, dann streiken sie im Wesentlichen für einen höheren Anteil am Geld der Allgemeinheit – zu Lasten anderer Verwendungen. Auf den ersten Blick hat das mit Gerechtigkeit nichts zu tun, sondern mit Interessenvertretung. Beim Einkommen der Ärzt:innen geht es immer auch um die Leistungsfähigkeit dessen, der die Löhne zahlen soll – der Kranken- und Pflegeversicherung -, die dauerhaft nur in Höhe der Versicherungsprämien erbracht werden können oder des Staates aus Steuereinnahmen. Auf den zweiten Blick wird die Versorgung der Bevölkerung kollabieren, falls Ärzt:innen ihrem Hang zu Selbstausbeutung aufgeben und dem Prinzip des „act your wage“ folgen.
Da selbständig tätige Mediziner:innen weitgehend fremdbestimmt sind, ist eine „Work-Life-Balance“ kaum zu realisieren. Das aktuelle Berufsmonitoring für Medizinstudierende zeigte in der Konsequenz ein immenses Interesse der Medizinstudierenden an einer Angestelltentätigkeit (96%). Deutlich gewachsen ist seit 2010 vor allem das Interesse an einer Anstellung im ambulanten Sektor. Es stieg von 67,3 auf 77,4 Prozent. Interessierten sich 2010 noch weniger als die Hälfte der Medizinstudierenden für eine Anstellung in einer Arztpraxis (49%), waren es in diesem Jahr mehr als zwei Drittel (68%). Das Interesse an einer Anstellung im MVZ wuchs von 56 auf 66 Prozent.
Die Kosten im Gesundheitswesen werden weiterhin steigen. Neben dem wissenschaftlichen Fortschritt, der Demographie, aktueller Krisen (COVID-19, Migration) u.v.a.m. sind es vor allem die im OECD-Vergleich hohen stationären Fallzahlen und die viel zu hohe Anzahl von Arztbesuchen, welche die steigenden Kosten verursachen. Kein GKV-Stabilisierungsgesetz konnte bislang dagegen ankommen. Solange es systembedingt keine sozial verträgliche Einschränkung der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen gibt, wird die Diskussion um eine gerechte Lastenverteilung und damit um den gerechten Lohn an Härte zunehmen.