Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG)

Nach den Eckpunkten aus dem neuen Referentenentwurf zum Versorgungsstärkungsgesetz sollen Gesundheitskioske, Primärversorgungszentren, kommunale MVZ und mehr Mitspracherechte für die Länder in den Zulassungsausschüssen „die Gesundheitsversorgung vor Ort in den Kommunen stärken und dabei gleichzeitig die individuelle Gesundheitskompetenz erhöhen“. Für die einen ist das eine notwenige Reform der ambulanten Versorgung, für die anderen ein Angriff auf die Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzte und der Einstieg in eine Staatsmedizin.

Fakt ist, dass die ambulante Gesundheitsversorgung in der bisherigen Form nicht mehr den Ansprüchen gerecht wird. Da man sich im politischen Raum nicht vorstellen kann Ansprüche auf ihre Berechtigung zu prüfen, sieht man in einem Systemwechsel die Chance die ambulante – und übrigens auch die stationäre – Versorgung vor dem Kollaps zu bewahren.

Unsere Gesundheitswirtschaft (den Begriff „Gesundheitswesen“ vermeide ich, da es zu sehr an Verwesen erinnert) steht vor einem zunehmenden Bedingungserfüllungsproblem (Constraint-Satisfaction-Problem). Die Politik sieht sich konfrontiert mit der Aufgabenstellung aus einer Menge von unkalkulierbaren Variablen einen Zustand zu gestalten, der alle politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Bedürfnissen einer künftigen medizinischen Versorgung berücksichtigt. Die Nachhaltigkeitslücke beträgt im Gesundheitswesen fast ein Bruttoinlandsprodukt. Die Gesundheitspolitik verspricht circa eine Jahreswirtschaftsleistung mehr an Leistungen als durch Beiträge in der Zukunft finanziert werden können (Prof. Bernd Raffelhüschen). Eine breite Front aus Krankenkassen, Sozial- und Patientenverbänden, aber auch der Politik, lehnen Vorschläge zu Leistungseinschränkungen oder Selbstbeteiligungen aus Sorge vor unerwünschten sozialen und gesundheitlichen Effekten kategorisch ab.

Es gibt für jedes Problem eine Lösung und die heißt Verzicht. Diese Bereitschaft ist nicht absehbar. Niemand möchte auf die Fortschritte der Medizin verzichten (z.B. Proteomics, Genomics u.v.a.m.) obwohl die damit verbunden Kosten enorm sein werden. Patienten sind nicht bereit auf die unbeschränkte Kostenerstattung aller notwendigen präventiven und therapeutischen Maßnahmen zu verzichten. Ärzte sind nicht bereit auf Gestaltungsspielräume und eine als gerecht empfundene Vergütung zu verzichten. Krankenkassen wollen auf die historisch entstandene Vielfalt, einen Finanzausgleich und fragwürdige Leistungsangebote nicht verzichten. Und der Bund wird nicht auf die Entlastung des Haushalts durch Übernahme versicherungsfremder Leistung durch die Krankenkassen verzichten. Die Länder wollen in Verfahren der Zulassungsausschüsse mit besonderer Versorgungsrelevanz nicht auf ein Mitentscheidungsrecht verzichten. Man könnte diese Liste fortsetzen. Unter diesen Prämissen dauerhaft eine sinnvolle Verknüpfung zwischen den sich ständig verändernden Rahmenbedingungen herzustellen und gleichzeitig die Verteilungssteuerung im Griff zu gehalten, ist im Prinzip eine Mission impossible.

Bei der Unvereinbarkeit der Positionen ist eine wünschenswerte Sicherstellung der ambulanten Versorgung in unterversorgten Gebieten des ländlichen Raums und in sozialen Brennpunkten durch neue Institutionen wie Primärversorgungszentren, Kommunale MVZ und Gesundheitskioske -vorsichtig ausgedrückt – ambitioniert. Das Problem ist, dass Niedergelassene in den unterversorgten Bereichen nicht mehr tätig werden möchten oder können. Um die Attraktivität zu erhöhen ist im Gesetzentwurf ist u.a. eine Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) zur Vergütung nichtärztlicher Leistungen in den Primärversorgungszentren vorgesehen. Dadurch werden der GKV abhängig von der Zahl der Primärversorgungszentren weitere Mehrausgaben entstehen. In hausärztlichen Praxen ist das nicht vorgesehen.

Auch eine „Weiterentwicklung“ des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) durch stärkere Mitsprachemöglichkeiten der Pflege und Patienten, Hebammen und wissenschaftlichen Fachgesellschaften soll erfolgen. Erfahrungsgemäß wird dies nicht dazu beitragen Entscheidungen zu beschleunigen. Angesichts der Langsamkeit und Regulierungswut, die in den vergangenen Jahren vorherrschten, sind Zweifel mehr als angebracht.

Viele niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sind derzeit strapaziert durch permanentes lästiges, störendes Agieren verschiedener Interessengruppen und zermürbt, weil nichts mehr so läuft, wie man es gerne hätte und man behindert wird in allem was man gerne machen, bzw. vermeiden möchte.

Auf das Beste hoffen, auf das Schlimmste vorbereitet sein. Es braucht einen Plan, um auf Veränderungen reagieren zu können, um nicht zu riskieren zu verlieren, was man gern bewahren möchte.

Folgende Hinweise aus dem Rheinischen Grundgesetz können dabei helfen:

Sieh den Tatsachen ins Auge, du kannst eh nichts ändern. Jammer nicht und trauer nicht um längst vergessene Dinge. Was fort ist, ist fort. Du selbst kannst ohnehin nichts am Lauf der Dinge ändern. Wir wissen, es ist Murks, aber es wird weitergehen. Bleib offen für Neuerungen. Sei aufmerksam, erkenne wenn Neuerungen überhandnehmen. Stell immer die Universalfrage: Wird das was gestern gut gegangen ist, auch morgen funktionieren? Was muss ich tun, um Schaden von meiner Praxis und dem Team abzuwenden?

Unterdrücken Sie den Ärger-Reflex. Wenn die Rahmenbedingungen für alle gleich sind, werden die Flexiblen immer erfolgreicher sein. Wie man in einem zu großen Teilen dysfunktionalen Gesundheitssystem gut überlebt, habe ich bei meinen Besuchen in Großbritannien, Italien, Russland und selbst in den USA gelernt.

Also kein Grund zu verzweifeln.

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Portraitfoto von Prof. Dr. med. H.-Peter Scheidel
Über Peter Scheidel

Prof. Dr. med. Peter Scheidel war von 1989 bis 2008 Chefarzt der Frauenklinik im Marienkrankenhaus Hamburg und von 2009 bis 2017 Leitender Arzt im  Mammazentrum Hamburg – 2017 ausgezeichnet mit dem German Brand Award.
Seit 2018 bietet er verhaltenes Mittun beim erfolgreichen und verantworteten unternehmerischen Handeln im Bereich der Gesundheitswirschaft