Lieber Buy-out als Burn-out? Warum Investoren in der Gesundheitswirtschaft erfolgreich sind.

Mit der Einführung der Medizinischen Versorgungszentren, kurz MVZ genannt, erweiterte der Gesetzgeber vor 15 Jahren nicht nur die Beschäftigungsmöglichkeiten für Ärzte in der ambulanten Versorgung, sondern öffnete die Tür für neue Wettbewerber und Investoren. Das medizinische Versorgungszentrum (MVZ) wurde ursprünglich geschaffen, um eine medizinische „Versorgung aus einer Hand“ zu ermöglichen. Gegründet werden kann ein MVZ u.a. von zugelassenen Ärzten, zugelassenen Krankenhäusern, von gemeinnützigen Trägern oder von Kommunen (Stand 24.9.2019).

Finanzinvestoren haben in den vergangenen Jahren den Gesundheitssektor für sich entdeckt. So erwerben Kapitalgesellschaften Krankenhäuser, um Medizinische Versorgungszentren (MVZ) betreiben zu können. Um die MVZ auszubauen, wurden weitere Arztsitze gekauft. So wurde aus inhabergeführten Arztpraxen MVZ und daraus entwickelten sich MVZ-Ketten.

Diese Akquisitionsstrategie richtete sich primär auf Marktanteile und vernachlässigte zu Beginn eine klare Integrationsplanung, so dass ein Großteil zunächst nicht den gewünschten Erfolg brachte. Erst als die Akquisitionen als Teil der Gesamtunternehmensstrategie begriffen und zusätzliche Managementleistungen bereitgestellt wurden, entstand aus mehreren kleineren Einheiten eine wettbewerbsfähige Struktur, die in der Lage war weiteres Wachstum und Gewinne zu generieren.
Zu Hilfe kam den Finanzinvestoren, dass die ausgeprägt fragmentierte Gesundheitsbranche – politisch gewollt – seit einigen Jahren unter einem hohen Konsolidierungsdruck steht. Unter Zugzwang gaben Ärzte teilweise freudig Ihre unternehmerische Verantwortung ab, um als vorzüglich dotierte Angestellte weiterhin ärztlich tätig zu bleiben.
Der Erlös bei Veräußerung einer zum Verkauf angebotenen Einheit hängt ab von der aktuellen Rentabilität, dem Entwicklungspotential und der Marktposition der „Marke“. Besonders attraktiv sind spezialisierte Einheiten und große MVZ mit mehreren angestellten Ärztinnen/Ärzten, die profitabel arbeiten, aber aufwändig zu führen sind. Diese Institutionen finden derzeit keine investitionsbereiten Nachfolger mehr.

„Neben u. a. der direkten Veräußerung an einen Nachfolger oder die Einbringung in z. B. eine Berufsausübungsgemeinschaft, kann eine weitere Nachfolgelösung die Veräußerung an Finanzinvestoren sein. Auch das sollte kein Tabu-Thema mehr darstellen,“ Thorsten C. Werner, Leiter Kompetenz-Center Heilberufe bei Hamburger Sparkasse.

Ist es verwerflich, dass Ärztinnen/Ärzte sich lange vor einem Verkauf auf eine Wertsteigerung fokussieren, damit der Verkaufserlös höher ausfällt? Just in dem Moment, in den sich alle darauf eingestellt haben, wird dieses Konzept in Frage gestellt. Ein allgemeines Unwohlsein macht sich breit. Plötzlich will niemand mehr wissen, dass die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt das MVZ als Rammbock gegen die Freiberufler zur Etablierung von Versorgungsangeboten nach dem Modell der ostdeutschen Gesundheitszentren eingeführt hat.

Siehst du nicht die Geister, die ich rief?
Kamen in der Nacht, während ich schlief.
Wurden hier im Dunkel viel zu groß.
Die Geister, die ich rief, lassen mich nicht mehr los.

Songtext: Chris Buseck / Dero Goi / – Crap / Robert Flux

„Auch niedergelassene Ärzte müssen und dürfen Gewinn machen. Aber es muss immer im Vordergrund stehen, dass die Patienten so versorgt werden, wie der Praxisinhaber – und nicht ein Kapitalinvestor – es für richtig hält,“ so Dr. Klaus Heckemann, Chef der KV Sachsen. Außerdem solle der Fokus nicht nur auf der kurzfristigen Gewinnmaximierung, sondern ebenso auf der Nachhaltigkeit und dem Ruf der eigenen Praxis liegen.

Obwohl eher eine Unterstellung als gesicherte Erkenntnis, finden solche Mahnungen Anklang im politischen Raum. Deshalb wird darüber nachgedacht, wie es erschwert, bzw. verhindert werden kann, dass Gesundheitseinrichtungen in Deutschland zunehmend von Kapitalgesellschaften aufgekauft werden, die sich eine Rendite versprechen.
Aktuell fordert die Linksfraktion im Bundestag mehr Transparenz durch den Aufbau eines MVZ-Registers, aus dem hervorgeht, wer der Träger oder Eigentümer eines MVZ ist. Falls es sich um Finanzinvestoren handelt, sollen zusätzlich betriebliche Kennzahlen einschließlich der Zahl der gehaltenen Arztsitze veröffentlicht werden.

Die FDP in Hamburg will dafür sorgen, dass beim Betreten der Praxis Träger- und Eigentumsverhältnisse bereits erkennbar sind. „Wenn lediglich die Namen der Ärzte am Klingelschild auftauchen, ohne dass das Logo oder die Benennung des Krankenhauskonzerns, dem die Praxis gehört, ausgewiesen ist“, werde dem Patienten eine wichtige Information vorenthalten, weil ihm nicht bewusst sei, dass er nicht nur vom Arzt seines Vertrauens für eine Operation in ein bestimmtes Krankenhaus eingewiesen werde, sondern auch von einem Angestellten eben dieses Krankenhauskonzerns.“

Die Ärztekammern sehen in der Übernahme ambulanter Versorgungsstrukturen durch Investoren eine Bedrohung der Freiheiten von Ärzten und Patienten und übersehen, dass die Alternative eine noch größere Gefahr darstellt.

Infolge einer dissoziativen Identitätsstörung (ICD-11) wird die Tatsache, dass der Krankenhaussektor seit 1995 zunehmend von offen gewinnorientierten Unternehmensverbünden wie z.B. den Helios Kliniken (gehört zum Konzern Fresenius ProServe) beherrscht wird, ohne Bedenken akzeptiert. Hier liegt die Ursache des „Übels“. Ohne Privatisierung der Krankenhäuser gäbe es kein Kapitalinvestment in MVZ.

Prinzipiell stehen wir vor einem Dilemma. Einerseits erwirtschaftete die deutsche Gesundheitswirtschaft im Jahr 2018 mehr als 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gleichzeitig ist sie Arbeitgeber für rund 7,6 Millionen Menschen in Deutschland. Darüber hinaus sind ihr rund 8,4 Prozent der gesamtdeutschen Exporte zuzuschreiben – dies ist eine Menge für eine Branche, die einen Großteil ihrer Wertschöpfung durch die Erbringung von Dienstleistungen am Patienten erzielt. Die zentralen ökonomischen Kennzahlen der Gesundheitswirtschaft weisen im Vergleich zur Gesamtwirtschaft überdurchschnittliche Wachstumsraten auf.
Andererseits wurde den Ärzten der Betrieb ihrer Praxen, MVZ immer mehr madig gemacht. Die Honorarentwicklung, eine Vielzahl von Auflagen, Vorschriften und Regulierungen, sowie Ärger mit Krankenkassen und KV bei immer höheren Anforderungen der Patient_innen haben dazu geführt, dass Ärztinnen/Ärzte zunehmend die Selbstständigkeit in Frage stellen. Jedenfalls haben sie Medizin und nicht Betriebswirtschaft studiert. Die Zeit, Mühe und Kosten für Datenschutz, Qualitätssicherung, Dokumentation u.v.a.m. entnerven selbst hochmotivierte Mediziner.

In dieser Situation entscheiden sich Mediziner lieber zum Buy-out als zum Burn-out.

Wer anstrebt, die ärztliche Versorgung sicherzustellen und den Einfluss von Private-Equity-Fonds und Großinvestoren zu verhindern, sollte Gedanken entwickeln, wie die Attraktivität der freiberuflichen Tätigkeit gesteigert werden kann. Ansätze dafür gibt es genug, allein es fehlt der politische Wille. Wer an der Steuerung von komplexen Systemen scheitert, sucht nach einfachen Lösungen. Nicht wenige Gesundheitspolitiker sehen deshalb die Entwicklung positiv, weil sie den Weg in eine Staatsmedizin öffnet. Dann sind die Probleme mit „raffgierigen“ Medizinern und Privatinvestoren gelöst. Wen wundert es? Einer Allensbach-Umfrage zufolge haben gerade mal 48 Prozent „vom Wirtschaftssystem in Deutschland eine gute Meinung“ und 45 Prozent stimmen in einer Ipsos-Befragung mit der Aussage überein, „dass sozialistische Ideale gegenwärtig wertvoll für den gesellschaftlichen Fortschritt sind.“
Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland ist der Meinung, dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Form mehr schadet als hilft (Edelman Trust Barometer). „Das ist ein alarmierendes Ergebnis. Unternehmen, die die neuen Regeln nicht verstehen, werden es künftig schwer haben“, sagt Christiane Schulz von Edelman Deutschland.

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Portraitfoto von Prof. Dr. med. H.-Peter Scheidel
Über Peter Scheidel

Prof. Dr. med. Peter Scheidel war von 1989 bis 2008 Chefarzt der Frauenklinik im Marienkrankenhaus Hamburg und von 2009 bis 2017 Leitender Arzt im  Mammazentrum Hamburg – 2017 ausgezeichnet mit dem German Brand Award.
Seit 2018 bietet er verhaltenes Mittun beim erfolgreichen und verantworteten unternehmerischen Handeln im Bereich der Gesundheitswirschaft