Personalmangel in medizinischen Leistungszentren

Die Suche nach medizinischem Personal wird für Praxen/MVZ in Deutschland zunehmend zum Problem. Viele medizinische Fachangestellte (MFA) zieht es an Kliniken, welche derzeit mit einer besseren Bezahlung locken. Nach Angaben des Verbandes medizinischer Fachberufe sind bundesweit seit 2012 jährlich mehr als 2000 in den Arztpraxen ausgebildete medizinische Fachangestellte in Krankenhäuser abgewandert. Mit der Corona-Epidemie habe sich das Problem verschärft. Zusätzlich ist die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren ist im vergangenen Jahr um 11,5 Prozent gestiegen. Die Folge ist ein verschärfter Wettbewerb um MFA.

Was bringt eine MFA dazu ihren Arbeitsplatz zu wechseln?

Während meiner Tätigkeit als Chefarzt einer Frauenklinik und anschließender Verantwortung als medizinischer Leiter eines MVZ habe ich beide Seiten kennengelernt. In den Klinken werden MFA meist in den Ambulanzen oder als Orgakräfte im Stationsbetrieb eingesetzt, oft ist ihre Tätigkeit selbständiger als in Praxen/MVZ, nur im den Notaufnahmen mit Wochenend- und Nachtdienst. Überwiegend muss die MFA in der Klinik nicht im „Front-End“ arbeiten, wo sich dem Ansturm der Patienten und ihren Wünschen als erste ausgesetzt sieht. Neben der meist besseren Bezahlung und geregelteren Arbeitszeiten ist die Tätigkeit in den Klinken für viele identitätsstiftender als in der Praxis/MVZ. Ausnahmen bestätigen die Regel. Vorteile in der Praxis/MVZ sind die Einbindung in ein Team, individuelle leistungsabhängige Zulagen und der niedrigschwellige persönliche Kontakt zum ärztlichen Personal. Es ist den MFA in kleineren Einheiten leichter möglich, Verständnis für ökonomische Zwänge aufzubringen. Ein großer Vorteil in der Situation niedergelassener Ärztinnen/Ärzte ist die freie Personalauswahl. In den Klinken erfolgt Ausschreibung und Besetzung offener Stellen regelhaft durch die Personalabteilung ohne Beteiligung der verantwortlichen Ärzte. Aus verständlichen Gründen kann das die Zusammenarbeit erschweren.

Die Fortbildung wird in Kliniken und Praxen/MVZ aus unterschiedlichen Gründen oft nicht zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden geregelt. In beiden Fällen sind fehlende Anreize des Aufstiegs mittel- bis langfristig Grund für die Aufgabe oder den Wechsel der Tätigkeit.

Unabhängig von der Institution gibt es Indikatoren für die Zufriedenheit der MFA mit ihrer Arbeit und dem Stolz, für das Unternehmen zu arbeiten. Sie sind nicht immer identisch, sondern abhängig von den jeweiligen sozialen Präferenzen und Perspektiven. Diese Faktoren wirken sich positiv oder negativ auf die Wahrscheinlichkeit aus, dass Mitarbeiterinnen das Unternehmen verlassen, um eine vermeintlich bessere Beschäftigungsmöglichkeit zu finden. Zu den positiven Faktoren gehören das Vertrauen der Mitarbeiterinnen in die Autorität der Führungsspitze, die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten einzubringen, sich weiterzuentwickeln und nicht zuletzt im Team mit einem positiven Feedback wahrgenommen zu werden.

Es ist nicht einfach, sich in einer „High Performance Culture“ der Gesundheitsversorgung wohl zu fühlen, in der ein kleiner Fehler weitreichende Folgen haben kann. Es gibt Vorgesetzte, die entwickeln einen untrüglichen Instinkt, Mitarbeiterinnen bei kleinsten Fehlern zu erwischen. Das ist schwer erträglich, denn Angst vor Fehlern fördert eher die Unsicherheit, als sie abzubauen. Der angemessene Umgang mit Fehlern ohne weitreichende Konsequenzen und das Lob für tadelloses Verhalten fällt vielen Führungskräften nicht leicht. Es sind meist keine größeren Meinungsverschiedenheiten, welche das Klima belasten, sondern die „Kleinigkeiten“ des Alltags. Ein Beispiel ist nach meiner Erfahrung die Enttäuschung der Mitarbeiterinnen, wenn Sie vom „Chef“ keine Rückendeckung erhalten, bei einer als ungerecht empfundenen Verteilung unangenehmer Aufgaben (Putzen, Aufräumen, e.t.c.) durch die Praxismanagerin. Grundsätzlich wird der Alltag der Mitarbeitenden durch klar zugeordnete Aufgaben und übersichtlich gestaltete Abläufe erleichtert. Es sind die Konflikte in den zwischenmenschlichen Beziehungen, die unbemerkt für eine schlechte Stimmung sorgen.
Das Engagement der Mitarbeitenden geht letztendlich auf die Summe der positiven, bzw. negativen Erfahrungen, welche die Mitarbeiter mit der Institution machen, zurück. Deshalb spielt die Schaffung einer starken Reputation und einer Identitätsmarke neben den Führungspersönlichkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Erreichen Sie eine andauernde Mitarbeiterbindung in Praxen und MVZ

Bemühen Sie sich um eine von Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung geprägte Arbeitskultur.
Formulieren Sie verständlich zu kommunizierende Ziele.
Lassen Sie sich bei Mitarbeiterauswahl nicht unter Druck setzen, bleiben Sie so selektiv wie möglich und achten Sie neben den fachlichen Fähigkeiten auch auf die Kompatibilität zum Team.
Sparen Sie im Mitarbeitergespräch die Frage nach Beziehungskonflikten im Team nicht aus.
Seien Sie bereit, wertvollen MFAs übertarifliche, faire Gehälter zu zahlen. Seien Sie offen für flexible Arbeitsmodelle, auch wenn’s wehtut. Prüfen Sie digitale Optionen. Gepflegte Dokumentationsbausteine, elektronische Signaturen, online Terminvereinbarungen u.v.a.m. können den beruflichen Alltag der MFA unterstützen und entlasten.
Und seien Sie nicht wütend oder zornig, wenn eine MFA kündigt. Das vermittelt kein Gefühl der Souveränität bei bleibenden Mitarbeiterinnen.
Meine Meinung: Jede gute Beziehung beginnt mit der Bereitschaft etwas zu geben, ohne zu wissen, was man zurückbekommt, sie endet, wenn der Vertrauensvorschuss aufgebraucht ist, bzw. missbraucht wird. Beziehungen aufrecht zu erhalten ist mühsam, zu Recht heißt es Beziehungsarbeit. Im Arbeitsleben entstehen Beziehungen dort, wo neben der fachlichen auch die sozialen Aspekte der Performanz entfaltet werden: „Handle und Entscheide so, dass du durch dein Handeln und Entscheiden langfristig die soziale und fachliche Begabung bei dir selbst und bei deinen Mitarbeitern und Kollegen eher gemehrt denn gemindert werden” (R. Lay 1992).

Das ständige Bemühen um eine ausgewogene Balance zwischen den Erwartungen und Bedürfnissen des Teams und der eigenen Interessen ist der entscheidende Treiber, um Anerkennung für sich und die Institution zu erhalten, MFA langfristig zu binden und betriebswirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Photo by Ani Kolleshi on Unsplash

Zurück zum Blog

Portraitfoto von Prof. Dr. med. H.-Peter Scheidel
Über Peter Scheidel

Prof. Dr. med. Peter Scheidel war von 1989 bis 2008 Chefarzt der Frauenklinik im Marienkrankenhaus Hamburg und von 2009 bis 2017 Leitender Arzt im  Mammazentrum Hamburg – 2017 ausgezeichnet mit dem German Brand Award.
Seit 2018 bietet er verhaltenes Mittun beim erfolgreichen und verantworteten unternehmerischen Handeln im Bereich der Gesundheitswirschaft