„Wenn wir bekommen, was wir wollten, freuen wir uns nicht“

Julia Müller interviewt für Impulse Daniel Holzinger, Humanbiologe und Business-Coach zu einem Thema, das in unserer Gesellschaft zunehmende Bedeutung gewinnt. Hier ein Auszug mit meinem Kommentar.

impulse: Viele Menschen haben das schon einmal erlebt: Ich habe ein schwieriges Projekt abgeschlossen, an dem ich lange gearbeitet habe. Aber anstatt mich zu freuen, falle ich in ein Loch. Warum passiert das?

Daniel Holzinger: Wir haben oft überzogene Erwartungen daran, wie glücklich uns etwas machen wird. Wenn Sie monatelang an etwas gearbeitet haben, fühlen Sie sich danach vermutlich erst einmal erschöpft. Vielleicht sind Sie auch erleichtert, dass Sie es geschafft haben. Aber das überwältigende Glücksgefühl, das Sie sich im Vorfeld ausgemalt haben, stellt sich nicht ein…
Das Verrückte an Erwartungen ist: Wenn sie nicht erfüllt werden, sind wir enttäuscht. Wenn sie übertroffen werden, dann freuen wir uns. Aber wenn unsere Erwartungen erfüllt werden, wenn Sie also genau das erreichen, was Sie angestrebt haben: Dann freuen Sie sich nicht dauerhaft.

Besser wäre es, gar keine Erwartungen zu haben?

Das ist meine Lehre daraus, ja. Ich versuche, mir vorher kein Bild zu machen, dann kann ich mich überraschen lassen. Das ist nicht die ultimative Lösung. Aber es hilft, sich das immer wieder vor Augen zu führen. Egal, ob Sie Ihr Jahresziel erreichen, ein Haus bauen oder einen teuren Urlaub buchen – Sie haben immer bestimmte Erwartungen daran. Und häufig werden Sie enttäuscht. Aber nicht vom Haus, dem Urlaub oder dem erreichten Erfolg, sondern von sich selbst. Kognitive Dissonanz nennt man das in der Fachsprache.

Mary Poppins: „In every task that must be done, there’s an element of fun“ 

Kommentar:
Die Aussagen von Holzinger basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen des Glücksforschers Mihály Csíkszentmihályi, der als als Schöpfer der Flow-Theorie gilt, die er aus der Beobachtung verschiedener Lebensbereiche, u. a. von Chirurgen und Extremsportlern, entwickelte und in zahlreichen Beiträgen veröffentlichte. Er war jedoch nicht der erste, der das Konzept entdeckte (Kurt Hahn beschrieb schon 1908 seine weitgehend synonym zu sehende „schöpferische Leidenschaft“). Csíkszentmihályi gilt als der herausragendste Wissenschaftler auf diesem Gebiet. 1975 beschrieb er das Flow-Erleben. Heute wird seine Theorie auch für rein geistige Aktivitäten in Anspruch genommen. Nach Mihály Csíkszentmihályi bedingt das Eintreten von Glücksgefühlen (Flow) klare Zielsetzungen, eine volle Konzentration auf das Tun, das Gefühl der Kontrolle der Tätigkeit, den Einklang von Anforderung und Fähigkeit jenseits von Angst oder Langeweile in scheinbarer Mühelosigkeit.

Was im vorliegenden Interview jedoch nicht berücksichtigt wird, ist, dass die Enttäuschung von sich selbst regelhaft fremdbestimmt ist. Dies zeigt das Diagramm zum Flow zwischen Über- und Unterforderung . Stress, Überforderung und Angst liegen über der roten Linie. Langeweile, Unterforderung und Routine liegen unter der blauen Linie. Der Flow liegt genau dazwischen. Nur wenn Fähigkeiten und Anforderungen parallel laufen, wird der Bereich des Flows größer.

nach C. Löser wikipedia

Wer sich – meist unfreiwillig – über einen längeren Zeitraum permanentem Stress, Überforderung und Angst aussetzt, für den ist die Erkenntnis des Werts einer kognitive Dissonanz nur über einen langdauernden Prozess zu erreichen. Nur wenn die Dissonanz stark genug ist, kann ihre Bekämpfung eine dauerhafte Änderung von Einstellungen und Verhalten (Handeln) herbeiführen. Häufig ist es dabei notwendig, den Blickwinkel zu ändern, um neue Lösungswege zu erkennen. Mit der Lösung verschwindet auch die Dissonanz. Wünsche, Absichten oder Einstellungen werden aufgegeben
Der Rat, sich darum zu bemühen, ist so nützlich wie der Satz:“Jetzt sei doch mal vernünftig“. Mit dem Verstand alleine ist es unmöglich zu erreichen, keine Erwartungen zu haben und Wünsche, Absichten oder Einstellungen aufzugeben.

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Portraitfoto von Prof. Dr. med. H.-Peter Scheidel
Über Peter Scheidel

Prof. Dr. med. Peter Scheidel war von 1989 bis 2008 Chefarzt der Frauenklinik im Marienkrankenhaus Hamburg und von 2009 bis 2017 Leitender Arzt im  Mammazentrum Hamburg – 2017 ausgezeichnet mit dem German Brand Award.
Seit 2018 bietet er verhaltenes Mittun beim erfolgreichen und verantworteten unternehmerischen Handeln im Bereich der Gesundheitswirschaft