Wie Denkfehler unser Handeln beeinflussen und was man gegen solche Fehler tun kann

Ärzte verfolgen ein „Null-Fehlerkonzept“. Das wird ihnen ab dem ersten Tag ihrer Ausbildung beigebracht. Ärzte sind menschlich und bleiben deshalb nicht fehlerfrei. Die meisten Fehler resultieren nicht aus fehlendem Wissen, sondern aus unbewusst in die falsche Richtung laufenden Denkprozessen. Die Folgen eines sog. kognitiven Bias in der Medizin wurden aufgrund der nicht unerheblichen Konsequenzen ausführlich untersucht. Insbesondere wenn Entscheidungen unter Zeitdruck oder in kritischen Situationen getroffen werden müssen, sind kognitive Verzerrungen (Bias) allgegenwärtig und können, ohne dass wir es erkennem, zu Fehlern führen. Die Einsicht, dass alle uns zur Verfügung stehenden Informationen am Ende durch kognitive Denkfehler verfälscht werden können, ist bitter.

85 Prozent der gefundenen Denkfehler bei Ärzten basieren auf drei Faktoren, Premature Closure, Overconfidence Bias und Action Bias (1).

  • Premature Closure: den (diagnostischen) Prozess zu früh abzuschließen,
  • Overconfidence Bias: sich (einer Diagnose) zu sicher zu sein (ohne hinreichende Evidenz),
  • Action Bias: in unklarer Situation lieber zu handeln, statt weitere Informationen zu sammeln oder abzuwarten,
Distorting mirror. Photo by Andrew Dunn

Aus meiner Erfahrung als Gutachter würde ich den Confirmation Bias hinzu fügen, d.h. es werden Befunde stärker gewichtet, welche die eigene Verdachtsdiagnose wahrscheinlicher machen, als solche, die diese unwahrscheinlicher machen würden. Dies hat in einigen mir bekannten Fällen dazu geführt, dass ärztliche Entscheidungen in die falsche Richtung gelenkt wurden.

„Kognitive Denkfehler sind ein zutiefst menschliches und im täglichen Leben ubiquitär vorkommendes Phänomen.“(1) Als Arzt war ich mir dieser Quelle der Fehlentscheidung bewußt, ohne behaupten zu können, dass ich dadurch frei von Fehlern war. Das liegt daran, dass die Liste von möglichen kognitiven Verzerrungen enorm lang ist.

In der beratenden Tätigkeit profitiere ich von meinem ärztlichen Erfahrungswissen. Da ich Entscheidungen nur lenken kann, vermag ich nur auf die Bedeutung von Denkfehlern hinzuweisen. Was einen Berater in den Wahnsinn treiben kann, sind die menschlichen Denkmuster, die selbst durch negative Erfahrungen nicht dynamisiert werden:

  • Belief-Bias (Überzeugungsbias): Die Tendenz zu glaubwürdigen Schlussfolgerungen, unabhängig davon, ob sie logisch korrekt sind.
  • Bestätigungs-Bias: Die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen.
  • Default-Effekt: Übermäßige Bevorzugung derjenigen Option, die in Kraft tritt, wenn ein Akteur keine aktive Entscheidung trifft (auch als Kohl- oder Merkel-Effekt bekannt).
  • Backfire-Effek: Die Neigung, Fakten, die der eigenen Überzeugung widersprechen, als Bestätigung der eigenen Überzeugung zu betrachten.
  • Dunning-Kruger-Effekt: Die Tendenz von wenig kompetenten Menschen, das eigene Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen.

Man könnte die Liste beliebig verlängern. Unser Leben wäre unkomplizierter, wenn wir uns der Existenz kognitiver Denkfehler bewusst wären und Strategien entwickeln, sie zu verhindern.

Was kann man zur Minimierung solcher Fehler tun?

Um medizinische Entscheidungen sachdienlich und überlegt zu treffen, wurden im British Medical Journal (2) folgendes Vorgehen empfohlent:

  • Sich Zeit nehmen
  • sich der Faktenbasis bewusst sein
  • Überlegen, welche Daten wirklich relevant sind
  • Aktiv nach alternativen Diagnosen (Optionen) suchen
  • sich Fragen stellen, welche die eigene Hypothese widerlegen und
  • Sich erinnern, wie oft man falsch liegt

Als hilfreich im Alltag erwiesen sich ebenfalls Checklisten (wie im Flugzeug), die ein strukturiertes Vorgehen erlauben und außerdem kognitiv Leitbahnen bieten. Von den Autoren wird zudem auf die Metakognition erwähnt, bei der über die eigene Entscheidungsfindung nachgedacht wird, bevor man sie umsetzt. Man solle sich Fragen stellen wie „Was könnte es noch sein?” oder an das Gegenteil der Annahme denken.

Als wenig effektiv hinsichtlich kognitiver Fehler haben sich in mehreren Studien Schulungen über einen potenziellen Bias oder verstärkter Unterricht über statistische Grundlagen erwiesen. Ein neuer Ansatz sind Videosimulationen, mit nachgestellten Arzt-Patienten-Dialogen, bei denen explizit oder implizit Hinweise auf kognitive Fehlschlüsse gegeben werden.

Dies Hinweise dürften gleichermaßen zur Entscheidungsfindung in Organisationen, Institutionen und Unternehmen nützlich sein. Nach meiner Erfahrung wird dies weniger aus mangelndem Wissen und resultierender Planlosigkeit, sondern vor allem unter Zeitdruck und Stress zu wenig berücksichtigt. Ich bin davon überzeugt, dass kognitive Denkfehler für einen relevanten Anteil der Fehlentscheidungen nicht nur bei Ärzten, sondern ebenso im Alltag der Unternehmen verantwortlich sind.

1 Wie Denkfehler die ärztliche Diagnose beeinflussen
A. Klinge, J. Müller und S. Harendza im HAMBURGER ÄRZTEBLATT 12|2019

2. Unconscious bias harms patients and staff
Narinder Kapur BMJ 2015;351:h6347

Zurück zum Blog

Portraitfoto von Prof. Dr. med. H.-Peter Scheidel
Über Peter Scheidel

Prof. Dr. med. Peter Scheidel war von 1989 bis 2008 Chefarzt der Frauenklinik im Marienkrankenhaus Hamburg und von 2009 bis 2017 Leitender Arzt im  Mammazentrum Hamburg – 2017 ausgezeichnet mit dem German Brand Award.
Seit 2018 bietet er verhaltenes Mittun beim erfolgreichen und verantworteten unternehmerischen Handeln im Bereich der Gesundheitswirschaft