Kommunikationskompetenz ist für Ärzte/Ärztinnen Grundlage ihres Berufs, wollen Sie doch Menschen von etwas überzeugen, das oft nicht ihrem subjektiven Interesse entspricht. Kommunikation ist nicht nur etwas Technisches, Soziales oder Sachliches, sondern entwickelt sich in erster Linie mit der Persönlichkeit. How-to Ratgeber sollte man mit Skepsis begegnen. Dennoch gibt es erst recht in der Kommunikation regelhafte Verfahren, an denen man sich orientieren kann.
80 Prozent der Patienten erwarten, dass ihnen Ärzte/Ärztinnen genau zuhören. Weniger als 20 Prozent finden, dass sie das auch tun. Es verwundert nicht, dass zwei Drittel der Patienten in Deutschland die Beziehung zu Ärztinnen/Ärzten als einseitig empfinden.
Forscher aus Stanford haben in Zusammenarbeit mit Presence, einem interdisziplinären Zentrum, das sich mit Fragen der menschlichen Interaktion in der Medizin befasst, die Ergebnisse einer Studie zum Thema interpersonelle Kommunikation in JAMA veröffentlicht (D. M. Zulman et al., JAMA. 2020;323(1):70-81.
Die Regeln
Fünf evidenzbasierten Praktiken wurden identifiziert, die dabei helfen, sich voll und ganz auf die Patienten einzulassen und ihre Perspektiven, Lebensumstände und Prioritäten zu verstehen.
- „Prepare with intention.“ Nehmen Sie sich Zeit, um sich mit dem Patienten vertraut zu machen, bevor Sie in die Konsultation einsteigen.
- „Hören Sie aufmerksam und vollständig zu.“ Setzen Sie sich hin und lehnen Sie sich vor, während Sie dem Patienten zuhören. Unterbrechen Sie nicht.
- „Vereinbaren Sie das, was am wichtigsten ist.“ Suchen Sie heraus, was dem Patienten am wichtigsten ist und befassen Sie sich mit diese Dingen als Prioritäten während des Besuchs.
- „Verbinden Sie sich mit der Geschichte des Patienten“ Fragen Sie den Patienten nach seinen Lebensumständen; loben Sie aufrichtig die Bemühungen in ausgewählten Bereichen.
- „Emotionale Hinweise erforschen“ Registrieren Sie aufmerksam verbale und nonverbale Hinweise des Patienten und überprüfen Sie die Emotionen des Patienten.
Grundsätzlich sind diese Hinweise nützlich und ausnahmslos nicht falsch. Eine wichtige Erkenntnis der modernen Psychologie ist bekannterweise die, dass der Mensch ein scheinbar kompliziertes Problem für sich am besten löst, in dem er dabei auf vorgefertigte, vermeintlich geeignete Lösungen zurückgreift. Das kann gut gehen – oder auch nicht.
Das grundsätzliche Problem, wie ein Gespräch nach diesen Regeln mit den zeitlichen, technischen und administrativen Anforderungen des ärztlichen Alltags in Einklang gebracht werden kann, bleibt leider unbeantwortet. Bei zahlreichen Hospitationen an US-amerikanischen Kliniken ist mir kein Arzt begegnet, der sich z.B. im Aufklärungsgespräch vor Operationen die Zeit genommen hat, dieser 5-Punkte Regel zu folgen. Meist wurde Autorität eingesetzt, um Entscheidung zu beschleunigen.
Aus meiner Sicht fehlt in den Empfehlungen aus Stanford einwichtiger Punkt: „Reduzieren Sie Komplexität von Sachverhalten, ohne entscheidungsrelevante Informationen zu unterlassen.“ Es ist nicht leicht, komplizierte Zusammenhänge für Nicht-Spezialisten verstehbar zu machen. Noch schwieriger wird es, wenn Patienten glauben, nach eigenem Studium im Internet die notwendigen Kenntnisse erworben zu haben, um alles zu hinterfragen und verhandeln zu können. Ich habe in meinen Arztgesprächen immer versucht, mich nur an einem einzigen Anhaltspunkt zu orientieren:
„Wer klug ist, wird im Gespräch weniger an das denken, worüber er spricht, als an den, mit dem er spricht. Sobald er dies tut, ist er sicher, nichts zu sagen, das er nachher bereut“
(Arthur Schopenhauer).