Digitales Fasten ist keine Lösung.

Am Freitag, den 29. November 2019 hat der Bundesrat das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) gebilligt. Künftig können Ärzte ihren Patienten Gesundheits-Apps auf Rezept verordnen und auf ihrer Internetseite darüber informieren, ob sie Onlinesprechstunden anbieten. Zusätzlich zu den Ärzten werden Apotheken und Krankenhäuser verpflichtet, sich an die Telematikinfrastruktur (TI) anzuschließen. Die Nutzung von pseudonymisierten Gesundheitsdaten zu „Forschungszwecken“ wird durch das Gesetz legalisiert.In der Umsetzung zurückhaltende Ärzte sollen durch einen erhöhten Honorarabzug diszipliniert werden, wenn sie sich der gesetzlichen Regelung weiterhin verweigern.

Pro und Contra dieser „Zwangsbeglückung“ wurden im Vorfeld von den Beteiligten heftig diskutiert. Wie im politischen Raum üblich, war diese Diskussion von Eigeninteressen geprägt. Das ist legitim. Es gibt aus meiner Sicht mindestens zwei Aspekte, die von den jeweiligen Protagonisten nicht offen kommuniziert wurden.

Die Krankenkassen haben wiederholt auf den unbewiesenen Nutzen von Apps hingewiesen. Das zeigt, dass sie sich einer differenzierten Betrachtung von „Nutzen“ (Benefit) und „Nützlichkeit“ (Utility) verweigern oder dies in manipulatorischer Absicht verschleiern.

„Absence of evidence is not evidence of absence”

Altman DG, Bland JM.
BMJ. 1995 Aug 19;311(7003):485.

Wer den Nachweis der objektiver Vorteile einer Gesundheitsapp fordert, negiert den Wert einer subjektiven Brauchbarkeit für Ärzte und Versicherte. Convenience z.B kann ein echter Vorteil sein, selbst wenn der Benefit eher subjektiv ist. Der Rückzug auf das Argument der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz spekuliert mit dem Finazierungsvorbehalt. Das funktioniert, insbesondere wenn realistisch davon ausgegangen werden darf, dass der Nachweis nur in den seltensten Fallen mit der Biostatistik gelingen wird.

Ärzte kennen das „argumentum ad ignorantiam“ (lat.:„Argument, das an das Nichtwissen appelliert“) als logischen Fehlschluss, bei dem eine These für falsch erklärt wird, allein weil sie bisher nicht bewiesen werden konnte. Oder umgekehrt, eine These für richtig erklärt wird, allein weil sie bisher nicht widerlegt werden konnte. Der so Argumentierende sieht seine mangelnde Vorstellungskraft oder seine Ignoranz als hinreichend für die Widerlegung bzw. Bestätigung einer These an (Wikipedia) . Logik wurde an der römischem Elementarschule gelehrt und sollte m.E. wieder in den Lehrplan aufgenommen werden.

Ich wünsche den Beteiligten viel Vergnügen bei der ausstehenden Bewertung des Nutzens von Gesundheits-Apps. Wieder ein Beweis dafür, dass „das D in Deutschland nicht für Digital steht.“ Wenn es dem politischen Willen entspricht, die Anwendung von Gesundheits-Apps und Onlinesprechstunden zu fördern, hätte es deutlich effektivere Möglichkeiten gegeben. Hinweise finden sich in der Bertelsmann Studie „Digitalisierungsstrategien im internationalen Vergleich“ von 2018.

Daten nützen, Daten schützen?

1990 habe ich im Frauenarzt (Der Frauenarzt, 31;1990: 49) mit B. Homann einen Artikel zum Thema: „Daten nützen oder Daten schützen – Zielkonflikt oder Organisationsfrage?“ publiziert. 29 Jahre später ist der Artikel dem Grunde nach weiterhin aktuell.

Standesvertreter der Ärzte habe immer wieder das Argument des unvollständigen Datenschutzes gegen das Digitale Versorgung-Gesetzt (DVG) ins Feld geführt. In Deutschland ein Killerargument. Im Grunde geht es nicht um den „klassischen“ Datenschutz, der höchsten Anforderung entspricht, sondern um die Interpretationshoheit über die erhobenen Daten. Wer die naive Vorstellung unseres Gesundheitsministers teilt man könne dies durch einen „Code of Conduct“ regeln, möge versuchen, mal mit Google darüber zu verhandeln.

Wer die Daten hat, hat die Macht.

Mit der Clusteranalyse werden Gruppen von Objekten identifiziert, die sich auf eine gewisse Art ähnlicher sind als andere Gruppen. Patient Led Data Sharing ist für die medizinische Forschung und die Entwicklung von Entscheidungsunterstützungssystemen (KI) von unschätzbarem Wert. Gleichzeitig ermöglicht die Datenanalyse das Erkennen von Verhaltensauffälligkeiten, z.B. bei dem Verordnungsverhalten und der Honorarabrechnung von Ärzten oder „unsozialem“ Verhalten von Patienten. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Wer legt fest, nach welchen Kriterien die gesammelten Daten ausgewertet werden?

Unisono wird in Deutschland das chinesische Sozialkredit-System als online betriebenes Rating- bzw. „Social Scoring“ vehement abgelehnt. Der Versuch einer totalen Kontrolle von Bevölkerungsgruppen durch die Vergabe von „Punkten“ für ein (aus Sicht der Kommunistischen Partei Chinas) wünschenswertes Verhalten, bzw. deren Entzug für negatives Benehmen, könnte über die Hintertür des DVG ins deutsche Gesundheitssystem einziehen. Selbst wenn „Social Scoring“ in Deutschland euphemistisch in „Social Profiling“ umgetauft wurde, ist es längst Realität unseres Alltags geworden.

“Eine zentrale Datei von Gesundheitsdaten öffnet der Überwachung, der Kontrolle und der Sortierung von Menschen sowie der Diskriminierung bestimmter Risikogruppen Tür und Tor. Der politische und wirtschaftliche Missbrauch solcher Daten muss immer befürchtet und mitbedacht werden,” heißt es in einem offenen Brief gegen die geplante zentrale Speicherung von Gesundheitsdaten-

Das wird durch die DSGVO nicht verhindert. Der „Datenspender“ stimmt ja nur der Speicherung und Nutzung seiner (pseudonymisierten) Daten zu, hat freilich bislang keinen Einfluss auf die Datenanalyse. Es scheint auf den ersten Blick, als sei eine Situation entstanden, in der man gezwungen ist, sich zwischen zwei gleichermaßen unangenehmen Positionen zu entscheiden, Stagnation der Forschung durch den Verzicht auf die Datensammelstelle in der vorliegenden Form oder die Inkaufnahme der Gefahr einer missbräuchliche Nutzung.

Digitales Fasten ist gleichermaßen keine Lösung.

Für die Medizin sind die Daten von großem Nutzen, die Gesundheitspolitiker sind sie höchstens nützlich. Wer übernimmt die Kontrolle der Kontrolleure des in Deutschland geplanten Forschungsdatenzentrums als Sammelstelle von hochsensiblen Gesundheitsdaten? Meine Vorstellung wäre eine KI Applikation, die nach festgelegten Algorithmen den Datenzugriff ermöglicht und – ausgesprochen wesentlich – die Nutzung der Daten nachverfolgt und protokolliert, um sie dann auf einer öffentlichen Plattform transparent zu machen. Wenn Menschen die Verantwortung dafür übernehmen, wäre ich hochgradig skeptisch, was die Zukunft betrifft.

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Portraitfoto von Prof. Dr. med. H.-Peter Scheidel
Über Peter Scheidel

Prof. Dr. med. Peter Scheidel war von 1989 bis 2008 Chefarzt der Frauenklinik im Marienkrankenhaus Hamburg und von 2009 bis 2017 Leitender Arzt im  Mammazentrum Hamburg – 2017 ausgezeichnet mit dem German Brand Award.
Seit 2018 bietet er verhaltenes Mittun beim erfolgreichen und verantworteten unternehmerischen Handeln im Bereich der Gesundheitswirschaft